ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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 Le Thoronet
 

Bernd Schwering, Le Thoronet, 2008

Am Schluß der Einführung war kurz von „Le Thoronet“ und der Vorstellung die Rede, hier, im Halbschatten der „warmen Mauer“ könne man einen Nachmittag kontemplativ dösend verbringen.

2008 und exakt da – die Örtlichkeit gehört zur 1146 gegründeten Abbaye du Thoronet in der Provence –, genauer: durch den im Bild sichtbaren Zugang für die Konversen (Laienbrüder), betritt Schwering die Welt Zisterziensischer Ruinen. Als Landschaftsmaler mit Goethes „Stirb und Werde“ vertraut, ist er durchaus gerüstet für die Begegnung mit den Zeugnissen monastischer Architektur und ihrem elementaren Schicksal, zudem kennt er nach langjähriger Beschäftigung mit Muschelkalk & Co. die Sprache der Steine. Kurzum: Er überläßt sich nicht – wie weiter vorn bereits angedeutet – der Vorstellung eines weiteren Verfalls, gerät also nicht in den Sog einer die fernere Zukunft anpeilenden Projektion, sondern reagiert auf die unmittelbare Wirkung der Artefakte im Jetzt.

Und stößt – sicherlich kein Zufall – gleich zu Beginn am nördlichen Seitenschiff der Abteikirche auf eine steinerne Wand, die unter seinem Zugriff zum Inbild einer Mauer wird. „Zugriff“ heißt: Er verändert die Originalsituation, indem er die grüngelb belaubten Äste und das durch frühherbstliches Nachmittagslicht hellrosa getönte Gemäuer näher aneinander rückt und damit, über einen doppelt wirksamen Kontrast (Natur/Artefakt, Komplementär-Farbigkeit) vor allem die Präsenz der Mauer verstärkt, Form und Textur der Steine deutlicher zum Vorschein bringt.

Zu sehen sind die aus Naturstein geformten Würfel und Quader, ihre maßgenaue Rechtwinkligkeit, desgleichen die exakten Rundungen der Türbögen sowie die waage- und senkrechten Linien, die sich durch die unvermörtelten Fugen ergeben: Spuren der mittelalterlichen Vorstellung von Geometrie als Spiegelung göttlicher Weltordnung?

Erkennbar wird die Einheitlichkeit des Materials, aber auch, daß keiner der verbauten Steine (roter Porphyr aus dem nahegelegenen Esterel-Massiv) dem anderen gleicht. Deutlich treten die unterschiedlichen Bearbeitungsspuren hervor. Würfel und Quader zeigen sich als individuelle Gebilde, die im Verbund zu einer lebendig anmutenden Mauer verschmelzen: Auf anderer Ebene zwar, aber auch hier zeigt sich eine Korrespondenz zwischen Architektur und Liturgie. Was die Mauer gewissermaßen vorgibt, ereignet sich, wenn die Mönche in der Abteikirche gemeinsam die Stundengebete abhalten.

 

 

Kirche des Zisterzienserklosters Le Thoronet

Auffällig ist zudem: Ornamentale und figürliche Verzierungen fehlen, aber nicht infolge einer nun bereits 800 Jahre währenden „De-Architekturisierung“. Vielmehr wurde die Mauer bereits ohne Dekor geplant und errichtet. Intention war von Beginn an zu veranschaulichen – und Schwerings Gemälde hebt diesen Sachverhalt hervor –, wie das Mauerwerk „funktioniert“, wie dessen Stabilität zustande kommt. Hier deuten sich zwei Aspekte des mittelalterlichen „Kunstbegriffs“ an. Nur dann konnte ein Werk oder Werkstück als schön gelten, wenn es funktionsgerecht war und darüber hinaus etwas Bedeutsames, eine ordensspezifische Maxime etwa, verkörperte: Das schmucklos Einfache der Mauer verweist auf das bereits erwähnte Schlichtheitsgebot der Zisterzienser.

Das Laubgrün über der Wand fungiert nicht nur als Vehikel zur Exponierung des rosafarbenen Gemäuers, sondern könnte, sieht man Geäst und Blattwerk als Erscheinungsform domestizierter Wildnis, auch als Verweis auf einen inhaltlichen Aspekt gesehen werden, auf eine vor allem die Startphase der Zisterzienser prägende Herausforderung: Abgeschieden von den Weltleuten, in der Wildnis, wollte man das monastische Leben führen und sich dabei – verkürzt formuliert – zugleich mit eben dieser „Wildnis“ auseinandersetzen.

Im 12. Jahrhundert firmierte sie unter der Vokabel „silva“ (lateinisch: Wald) und galt – vergleichbar vielleicht, was die konkrete Erscheinung betraf, mit den heute noch existierenden Kiefernmooren im Białowieża-Urwald an der polnisch-weißrussischen Grenze – als finster und undurchdringlich; wurde gesehen als Habitat monströser Tiere, böser Geister; war in toto Verkörperung roher, ungeordneter Natur und auf kosmologischer Ebene: Gedankenbild für ungeordnete, formlose Materie, zugleich Inbegriff für den Zustand der Unvollkommenheit.

Der lieferte – so könnte man sagen – den Mönchen den Impetus, der Wildnis auf den Pelz zu rücken: Indem sie Sümpfe entwässern, undurchdringliches Dickicht in Wiesen und Äcker verwandeln, die Dinge, kurzum, „in Ordnung“ und damit dem Zustand der Vollkommenheit (und Schönheit) des Göttlichen näherbringen, sind sie eingebunden in einen Prozeß, den man nach Georges Duby „als eine schrittweise Rückkehr zum verlorenen Paradies betrachten“ kann.



 

 
     
     
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