ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Andreas Orosz: Das Prinzip Stilleben
     

Orosz Bacchanal

"Bacchanal", 1982

Wenn man, meine Damen und Herren, in der Biographie des Malers Andreas Orosz den Zeitpunkt festlegen sollte, wo sich die konstituierenden Elemente seiner Arbeit erstmals zeigen, a) das „Prinzip Stilleben“, b) die „subkulturelle Sicht“ und c) das Moment der Ambivalenz, dann müßte man das Jahr 1982 nennen. 1982 nämlich, als 22-jähriger Kunststudent der Universität Mainz, malt Andreas Orosz, inspiriert von Jacob Jordaens und leibhaftig unterstützt von Freunden, die Modell stehen, ein großformatiges Ölbild mit dem Titel „Bacchanal“.

Jordaens Fest des Bohnenkönigs

 Jacob  Jordaens, "Fest des Bohnenkönigs", 1640/45

Im Gegensatz zu Jordaens „Fest des Bohnenkönigs“, das offensichtlich Pate gestanden hat, und das – Hund und Katze inbegriffen – von 19 Akteuren beiderlei Geschlechts bestritten wird, figurieren im Oroszschen Opus nur drei jugendliche Helden, von denen zwei – wegen Personalmangels oder in sinnfälliger Konsequenz der Thematik – drei- bzw. vierfach erscheinen, so daß acht Volltrunkenheit spielende Personen zu zählen sind. Sie befinden sich auf und neben dem Tisch. Sitzend, liegend, stehend stemmen sie – wie ihre feiernden Vorgänger im 17. Säkulum – Flaschen und Gläser himmelwärts und stellen dabei eine schrägstehend-wackelige Pyramide dar: Höhepunkt ohne Zweifel eines nächtlichen Bier- und Weingelages.

Das studentische Umfeld war, wie man sich denken kann, begeistert. Selbst Bernd Schwering, zu der Zeit gerade frisch bestallter Dozent am Institut und so ohne weiteres nicht zu beeindrucken, soll zustimmend genickt haben. Er allerdings lenkte das Augenmerk des Jungkünstlers auf einen Nebenschauplatz des inszenierten Spektakels, auf das unprätentiös aber gekonnt hingesetzte Quasi-Stillleben am unteren Bildrand links.

Andreas Orosz Bachanal Ausschnitt 

Bacchanal, Ausschnitt

Zwei Gläser, eine Flasche: Hier sitzt sie, die – wenn man so will – Keimzelle jener „Haushaltslandschaften“, der vollgestellten Nirosta-Spülen, der vergessenen Frühstücksreste, der übersehenen Kellerecken etc., denen sich Andreas Orosz in der Folge zuwendet.

Ein Blick auf die ersten zwischen ´82 und ´85 entstandenen Ergebnisse dieser Zuwendung zeigt, daß tatsächlich bereits hier eine Vorliebe für bestimmte Gegebenheiten deutlich wird: eine Passion für alltägliche, für private Kleinstereignisse, die oft von einer spezifischen, im Zusammenspiel von Feier- und Wunderlichkeit entstehenden Situationskomik getragen sind. Meist gehören zu den dargestellten Gegenständen Personen. Eine z.B. sitzt am Tisch vor  einem Glas, einem Teller, einer Tasse, der halbleeren Keksdose und einem Modellbaukasten; eine andere – Orosz höchstselbst –zeigt sich in der Umgebung von Rasier- und Waschzeug im Badezimmerspiegel. Sämtlich befinden sich die Figuren bei den von ihnen benutzten Dingen. Sie, diese Personen (nicht der Künstler) sind für Auswahl und Arrangement der Objekte zuständig. Nicht eine von welchen Vorstellungen auch immer geprägte Kompo- oder Dekompositionsabsicht, sondern der erledigte, der gleich beginnende Vorgang – die Morgentoilette oder die Bastelarbeit am Hubschraubermodell – bestimmen die z.T. merkwürdige Versammlung der Gegenstände.

"Guten Morgen",. 1983

Stilleben im herkömmlichen Sinne, das wird durch die Mitwirkung der Personen klar, sind also nicht gemeint, sondern ausdrücklich: reale, von persönlicher Erfahrung getragene Situationen.

Ab 1985 etwa verschwinden die Baumeister jener „Haushaltslandschaften“ von der Bildfläche; es verändert sich der Status der dargestellten Gegenstände: Vorher gehörten sie –Rasierklinge und Pinsel, Kamm im Wasserglas, Nagelbürste neben zerdrückter Luxseifen-Verpackung etc. – zum Ambiente des Sieben-Uhr-Erst-Kontakts eines übernächtigten Gesichts mit dem Spiegel, zu einem Augenblick also dieser im Prinzip bekannten, allmorgendlich ablaufenden Geschichte. Durch ihr leicht chaotisches Herumstehen und –liegen auf Waschbeckenrand und Glaskonsole dienten sie der Charakterisierung des gespiegelten Kopfes, profitierten jedoch andererseits von der Zusammenarbeit: Die lakonisch-komischen Aspekte ihres Erscheinungsbildes, der Rasierpinsel in Denkmalpositur, die Klinge, mit dem Absturz kokettierend: sie werden durch die Eigenart der anwesenden Figur, da sie den Betrachter des Bildes zu solchen Assoziationen animiert, schneller oder überhaupt erst freigelegt.

Ab 1985, im „Stilleben auf Waschmaschine“, vor dem „Küchenfenster“, bei den Bildern „Wirsing“ und „Quitten“, sind die Dinge unter sich. Sie müssen ohne die Orientierungs- bzw. Unterhaltungsangebote der Literatur bestehen: Und sie können es! Geholfen wird ihnen dabei durch eine Reihe gestalterischer Eingriffe und – einen „Platzvorteil“. Einen Platzvorteil, der sich ergibt, weil wir von jenen Küchen- und Kellerlandschaften, da sie meist abseits liegen oder wohlweißlich ausgeblendet sind, zudem permanent changieren, in der Regel eigentlich schon verschwunden, d.h., aufgeräumt sein sollten und –wenn überhaupt –kaum registriert werden, kaum mehr als eine diffuse, sehr allgemeine Vorstellung im Kopf haben. Vor diesem verschwommenen Bewußtseinshintergrund kann sich die Wirkung nachdrücklich entfalten.

Orosz, Wirsing

"Wirsing", 1990

So bewirkt die Verringerung des Betrachtungsabstandes, daß man die Szenerie direkt, ´zum Greifen nah´, vor Augen hat. So bringt die etwas kräftigere Beleuchtung die Plastizität der Gegenstände, ihre Konstruktion und damit ihr ´richtiges´ Stehen und Liegen, auch die Abstände; die räumlichen Verhältnisse generell, deutlicher zum Vorschein.
Deutlicher werden auch die Oberflächenbeschaffenheit, das besondere Material der Dinge und ihre intensiv wirkende, z.T. eigenartige Farbigkeit. Insgesamt führen diese Eingriffe zu einer gerichteten Veränderung der betreffenden Situation, die man als Entprofanisierung bezeichnen könnte, ein Vorgang, der auch in der Folgezeit den Ausdruck der Oroszschen Bilder wesentlich mitbestimmt.

Diese dritte Phase seiner künstlerischen Entwicklung beginnt etwa 1989 und wird eigeleitet durch einen – für Andreas Orosz als Quasi-Stilleben-Maler – durchaus bemerkenswerten Schritt: Er begibt sich außer Haus! Sein Blick erfaßt nun auch Gegenstände und Gegebenheiten außerhalb seiner privaten Sphäre. Und hier sind es offensichtlich jeweils zwei, drei auffällige, Verfremdung stiftende Details, die das nachhaltige Interesse des Künstlers an einer Garage z.B., an dem Blumen- und Gemischtwarenladen auslösten. In den Bildern tauchen diese Details, deutlicher akzentuiert, wieder auf: als Blickfang, als Attraktion im wortwörtlichen Sinne!

Orosz Garage

"Garage", 1990

In „Blumenladen“ sind es die drapierte, türkisen aufleuchtende Samtverkleidung des mit Töpfen, Vasen, dem Tesafilm-Spender und kleinen Sträußen bestückten Verkaufstisches sowie die zu beiden Seiten des Durchgangs befestigten bengalisch bunten Rollen aufgespulter Kunststoffbänder.

 

Orosz Spätsommerstrauß

"Spätsommerstrauß",1992

In „Garage“ (1990) lösen diesen Effekt ein „romanisch“, besser, „römisch“ gewölbter Werkstattraum und ein graues Metallregal an der hinteren Wand aus, das mit gelben, roten, blauen Spraydosen vollgestellt ist. Schräg von oben eifallendes Streiflicht einer Neonröhre erhöht die Farbwirkung. Zugleich treten Büchsen und Flaschen, da nur deren Vorderseite vom Licht erfaßt wird, die Zwischenräume aber schwarz bleiben, in ihrer Dinghaftigkeit deutlicher hervor.

Andreas Orosz Blumenladen

"Blumenladen", 1992

ihrem schimmernden Kolorit, ihrer klar umrissenen plastischen Gestalt – jedes Teil scheint einzeln und mit Bedacht wie eine Figur an seinen Platz gesetzt zu sein – wirken die Objekte des Ensembles wie Substitute sakraler Gegenstände. Nicht als Travestie zu sehen, sondern – aus der Perspektive des Besitzers – als den mehr oder weniger bewußt ablaufenden Versuch, seinen Blumenladen und ´Lebensinhalt´ über den Einsatz intuitiv ausgewählter Gestaltungselemente – er muß Ministrant gewesen sein! – zu nobilitieren.
Hier wie auch in den anderen Bildern dieser Phase gelingt es Andreas Orosz, das Angebot der Realität, eine zwar naive, aber punktuell durchaus überzeugende Verzauberungsstrategie, im Sinne seiner Intention zu nutzen.

Orosz Blumenladen (Detail) 

"Säkularisierter Marien-Altar": Detail aus "Blumenladen"

Das Spraydosen-Tabernakel in „Garage“, der säkularisierte Marienaltar des „Blumenladens“, die raumsprengende Spiegelung des Gemischtwarenladens („Cassa parlante“): sie verändern die Atmosphäre der jeweiligen Örtlichkeit. Für einen Moment, und der ist im Bild fixiert,  verflüchtigt sich der Begriff „Massenware“. Der Nutzwert der Gegenstände gerät in Vergessenheit. Die Situation und mit ihr die Geräte, Blumentöpfe, Kaffeetüten erhalten ein besonderes Gepräge, ästhetische Eindruckskraft. Sie werden zum Ereignis! Nichts Pittoreskes haftet diesem Ereignis an, nichts Idyllisches! Es präsentiert sich zeitgenössisch, besteht – unübersehbar ist der schrottreife Entlüftungskasten über dem „Marienaltar“ des Floristen – auf Ambivalenz und bringt vielleicht gerade deshalb die andere, durch Maß und Zahl nicht darstellbare Dimension der Dinge, auch ihre Schönheit, glaubwürdig zum Ausdruck.

In dem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf den Einfluß der „unbekannten Helfer“ zurückkommen: Auch hier liegen das Arrangement der Gegenstände, desgleichen die Installationen zur Umwandlung der alltäglichen – in eine sonntägliche Situation in Händen dieser „anonymen Mitarbeiter“ und damit, ästhetisch gesehen, Im Vorstellungsbereich dessen, was die Besitzer des Blumenladens, der Autowerkstatt für das Gute, Schöne, Richtige hakten. Wichtiger Bestandteil dieser Ästhetik ist der Sachzwang, auf engstem Raum – wie in „Cassa parlante“ z.B. – möglichst viel zu präsentieren, was nach Maßgabe kunstakademischer Konvention, da nicht nach Farben und Formen, sondern nach Wasch- und Lebensmitteln sortiert wird, zu blödsinnigen Reihungen, Ballungen, Rhythmen etc. führt, denen aber eine frische, unverbrauchte, durch tradierte Kompositionsschemata nicht abgenutzte Ausdruckskraft innewohnt.

Unter pragmatischen Gesichtspunkten erfolgt auch die farbliche Gestaltung und Ausleuchtung der jeweiligen Räumlichkeiten. Die Neoröhren auf pflegeleichtem Fond der „Garage“ z.B.: Sie sind praktisch, sparsam; sie sind montiert, wo sie benötigt werden. Sie sorgen – da sie ein Chiaroscuro, das bestimmte Objekte in den Schatten, andere in die Helligkeit stellt und zu einer Hierarchie unter den Gegenständen führen würde, nicht zulassen – für Lichtverhältnisse, die dem tradiertem Kunstblick zufolge gar keine sind: Aber in Verbindung mit den punktuell wirkenden Objekt-Steigerungs-Strategien aus dem sakralen Bereich führen diese – man könnte sagten: subkulturellen Mittel (vom Künstler erkannt und verstärkt) zu intensiverer Wahrnehmung Ästimierung der Dinge.

Orosz Pitigliano

"Pitigliano", 1994

Wie und wo, meine Damen und Herren, die eingangs erwähnten konstituierenden Elemente der Oroszschen Arbeit, das „Prinzip Stilleben“, die subkulturelle Sicht, repräsentiert durch jene anonymen Mitarbneiter und drittens das Moment der Ambivalenz, u.a. ausgedrückt im Zusammenspiel von Komik und Feierlichkeit, auch im Portrait der Stadt Pitigliano ästhetisch für Furore sorgen, darüber kann ich hier nicht näher eingehen, weil ich die Zeit für den Schlußbogen benötige: Wie läßt sich das, was Andreas Orosz via Bild zum Ausdruck bringt, verstehen und einordnen?

Durch die veränderten Produktionsformen industrieller und landwirtschaftlicher Güter hat sich unser Bewußtsein von den Dingen nachhaltig verändert. Mit dem weitgehenden Wegfall der Handarbeit zugunsten des Einsatzes „seelenloser Maschinen“ verloren die Gegenstände die Aura des Besonderen, den Status eines von Geist, Gefühl, formender Kraft ihres Herstellers geprägten Dinges. Sie besaßen nicht mehr, was ein Maler wie Chardin noch erspüren und sichtbar machen konnte: „Das geheime, den scheinbar toten Gegenständen innewohnende Leben“.

Nicht nur, aber auch deshalb, schwand das Interesse der Künstler an der Erscheinung der Dinge. Andere, aus damaliger Sicht brisantere Phänomene wie etwa die Beschleunigung nahezu sämtlicher Lebensvorgänge, traten in den Vordergrund. Zwar gab es immer wieder Künstler – neben den Futuristen z.B. Bacon, Filonow, Velickovic oder Duchamps („Akt, die Treppe herabschreitend“) –, die Bewegung figürlich darstellten. Die generelle Tendenz jedoch, repräsentiert durch die verschiedenen Avantgarden, ging dahin, die den technischen Fortschritt prägenden Faktoren, allen voran das „Tempo der Zeit“ gegenstandslos – netto  sozusagen – auszudrücken. Lange bevor – 50 Jahre sind es wenigstens – das Wort von der „Wegwerfgesellschaft“ die Runde machte, wurden die Gegenstände von der Kunst, Sektion Malerei, verworfen!

Andreas Orosz Himbeere II

Konditor als Künstler: "Himbeere II", 2015

Andreas Orosz gehört zu den wenigen Künstlern – einige von ihnen waren hier in der mittlerweile schon legendären Mops-Ausstellung („Den Mops verdoppeln…“, 1991) –, die das entstandene Vakuum spüren und reagieren. Auf seine Weise, in Form neuer Stilleben, Interieurs und Stadtlandschadften holt er die Gegenstände in die Malerei Zurück: mit scheinbarer Leichtigkeit und formaler Disziplin; mit Phantasie und mit einer Präzision, die von Entdeckerlust und Zuneigung inspiriert ist. Seine Bilder besitzen – als geistige Untermalung sozusagen – eine spezifische Grundstimmung, die man am ehesten mit Begriffen wie „Frische“ oder „Heiterkeit“ umschreiben könnte. Und die sich entfalten kann, weil keiner der langjährig gepflegten Topoi gegenständlicher Malerei hier noch bedient wird. Nichts mehr zu spüren ist vom ideologischen Service der „Kritischen Realisten“, verschwunden sind die Huldigungen an Fragment und Deformation, erledigt wie das Zeremoniell des Infragestellens hat sich die Auseinandersetzung mit den „Abstrakten“ und der Zwang zur Verteidigung der Gegenstände.

Orosz´ Arbeiten liefern keine Apologie der Dinge, sondern erweisen ihnen Reverenz; sie versuchen – in ihrer Mischung aus Feier- und Alltäglichkeit – dem Rätsel ihrer vielfältigen Wirkung nachzuspüren.    

 

 

Einführung in die Ausstellung von Andreas Orosz am 19.11.1995 ("Städtische Galerie im Park", Viersen) u. Ergänzungen (2015)

     
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