ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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Klosterbilder im 21.Jahrhundert?
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Caspar David Friedrich, Abtei im Eichwald, 1810 Wer sich das Begriffspaar „Klosterruine/ Malerei“ einen Moment lang als Magneten vorstellt, der wird registrieren, daß innerhalb von Sekunden Caspar David Friedrichs Abtei im Eichwald dranhängt, kurz darauf auch Carl Blechens Klosterruine Oybin und Schinkels Gotische Klosterruine und Baumgruppen.Vielleicht auch die Klosterruine Heisterbach im Schnee des weniger bekannten Malers Wilhelm Steuerwaldt aus Quedlinburg (1815-71), der dieses Motiv wegen der dort obwaltenden „Melancholie pur“ sogar in England, Schottland und in den USA verkaufte.
William Turner,Tintern Abbey, 1794
Dabei sein dürfte auch William
Turners skelettfarbige, gespenstisch wirkende Tintern Abbey aus dem
Jahr 1794: Allesamt Bilder der Romantik, in denen, unterschiedlich
facettiert, eine rückwärts gewandte Sehnsucht nach (unterstellter)
vormaliger Geborgenheit, nach ursprünglichem Sinn (Novalis) zum Ausdruck
kommt.
Gibt es eine Beziehung zwischen
diesen vom „Ruinenvirus“ befallenen Malern und Schwerings Klosterbildern? Gänzlich absurd ist die Frage
nicht, denn immerhin findet sich in seinem
bisherigen
Œuvre ein Acrybild aus dem Jahr 1973, das zweifelsfrei
Caspar David Friedrichs Der Mönch am Meer im
Blick hat. Darauf weisen sowohl der Bildtitel
Autos am Meer als auch die
Widmung „CDF – 28“ hin, die er im Nummernschild des rechten PKWs
platziert hat.1
Bernd Schwering, Autos am Meer, 1973 (s/w-Foto aus einem Katalog)
Läßt man Schwerings Frühwerk
Revue passieren, dann zeigt sich jedoch: keine der Arbeiten, die
unmittelbar vor und nach diesem Gedankensprung zu CDF entstanden sind –
ich meine die Reihe der Fensterbilder, Bilder wie
Baustelle und
Treppe oder die inzwischen
schon legendären Vorbeifahr- landschaften, ebenso den Siebdruck Nebel,
der sich, wie auch die Wolken über der
Treppe, als meteorologisches
Phänomen, eher als Physik, nicht aber als Metaphysik präsentiert –,
keines dieser und der dann folgenden Werke enthält Hinweise auf
irgendwelche Retro-Ambitionen. Vielmehr richtet sich sein Augenmerk –
und 1973 ist das ästhetisches Neuland
2 – auf
konkrete Erscheinungen der Gegenwart, die sich seit der 50 Jahre
zurückliegenden „realistischen“ Bestands- aufnahme durch die Künstler der
Neuen Sachlichkeit radikal verändert hatten: Faktisch, klar, aber auch
infolge gewandelter Wahrneh- mungsbedingungen, was in den Arbeiten, mit
denen Schwering in die Kunst einsteigt, gleicher- maßen deutlich ins Bild
kommt.
So zeigt er unter dem Titel
Reisebüro die Spiegelung einer Stadtlandschaft auf der Glasfassade
des Gebäudes; in den Fensterbildern erscheint die Außenwelt (gesehen
durch die Jalousie) segmentiert; die Vorbeifahrlandschaften verwandeln
Artefakte und Naturdinge im Vordergrund in waagerechte Schlieren bzw.
Streifen, und lassen sie zum Horizont hin, dort, wo sie seit van Eyk &
Co. ihren deutlichen Umriß im Dunst der Luftperspektive verlieren,
dingfest werden.
Bernd Schwering, Im Grünen, Siebdruck (26 Farben), 1974
Auch das Gemälde
Autos am Meer kann man diesem
Kontext zuordnen. Die Szenerie bezieht sich auf ein Geschehen, das
Schwering bei einem Ausflug an die Ostsee beobachtete: Leute, die mit
ihrem PKW bis an die Kante des kurzen Strandes fuhren, bei laufendem
Radio aufs Meer sahen und – ausgestiegen waren sie nicht – wieder
aufbrachen: Natürlich habe er, so Schwering, sofort an Friedrichs
Mönch am Meer denken müssen. Durch die Einbindung dieser Assoziation in den Bildtitel taucht CDF am Horizont seines Gemäldes auf. Diese bildnerische Geste und eine Bemerkung z.B. im Vorspann zum Zyklus Steine und Wasser auf seiner Homepage zeigen, daß eine Beziehung zum Komplex „Romantik“ – trotz unübersehbarer Fixierung auf das Jetzt 3 – durchaus besteht. Zwar sind bestimmte, dem geistigen Klima des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts geschuldete Komponenten (Melancholie, Blick zurück) ausgeklammert, dessen überzeitliche Substanz aber keineswegs: Die Entität namens Sehnsuchtsauslöser ist von Beginn an ebenso im Spiel wie das, was Novalis „qualitative Potenzierung“ nannte, und was man heute vielleicht als Sprung in einen anderen Wahrnehmungsmodus bezeichnen würde: von der pragmatischen zur ästhetischen Sicht der Dinge. Fokussiert auf Zyklen Zwischen den erwähnten Werken der
Startphase und dem ab 2007 entstehenden Zisterzienser-Zyklus
Leuchtende Steine malt
Schwering neben Einzelbildern wie
Parkplatz (1980),
Kiesgrube (1983),
Große Baumgruppe (1984) oder
Park (1989) die Zyklen
Jeder Tag (1977/78),
Die Tage des Jahres (1981/83)
sowie die mehr als 30 Bilder umfassende Serie
Steine und Wasser (1984 –
2006). Es sind eindrucksvolle, mit Gegenwarts-Empfindung aufgeladene
Darstellungen, durch die „Landschaft“ als wirkmächtiges Gegenüber
unserer Existenz wieder kenntlich wird. Und natürlich: Ein erheblicher
Teil der dabei gewonnenen Erfahrungen und Einsichten wird auch in die
Arbeit an dem Kloster-Zyklus einfließen. Zwei Aspekte möchte ich etwas
genauer ins Auge fassen. Faszinierend ist, wie jene „qualitative Potenzie- rung“, die nach Novalis „dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen“ gibt, bei Schwering von statten geht: In seiner Wohngegend hat sich – ein alltäglicher, kaum beachteter Vorgang – eine Baustelle etabliert. Die „befördert“ er zum Motiv, d.h., er präsentiert sie, kurz gesagt, in ästhetischer Wahrnehmung, und zwar als die 7-teilige Werkfolge Jeder Tag.
Bernd Schwerig, Jeder Tag, 1977 (Container / Drahtkörbe)
Diese Baustelle an der
Bierstädter Straße in Wiesbaden wird ja nicht ästhetisch belauert und
zum Motiv, um etwa die „Versiegelung von Naturflächen“ oder den „Verlust
von Ruderalflora“ zu thematisieren. Sie gerät deshalb in den Fokus, weil
im realen Erscheinungsbild irritierende, also Aufmerksamkeit bindende
Elemente wie der rosafarben-rostige Schuttcontainer oder kalkweiße
Drahtkörbe auftauchen, die im Zusammenspiel mit dem Bewuchs des Areals
tatsächlich einen neuen Landschaftstyp entstehen lassen: die temporäre
Übergangslandschaft – könnte man sagen.
Bernd Schwering, Parkplatz, Acryl auf Leinwand,46 x 35 cm, 1980
Aber die Kontrastierung von
Naturding und Artefakt bewirkt mehr als nur eine ad-hoc-Steigerung der
Wahrnehmungsintensität. Die Polarisierung von Vegetation und maschinell
Gefertigtem bringt auch deren jeweilige Eigenart von neuem deutlicher
zum Vorschein. Am Beispiel des Gemäldes
Parkplatz – eine Attacke der
Wiese gegen die Pflasterung – kann man erleben, wie mittels
Gegensätzlichkeit Kraut und Gras ihre Präsenzwirkung steigern, aber auch
die Rasengittersteine wieder, um mit Viktor Schklowski zu sprechen:
rasengittersteinerner werden. Landschaftsmaler – Beispiele wären Monet (Sommer) oder Courbet (Genfersee bei Sonnen-untergang) – tendieren eher dahin, die das Motiv bestimmenden Elemente in Einklang zu bringen.
Claude Monet, Sommer, Öl auf Lw., 57 x 80 cm, 1874
Gustave Courbet, Genfersee bei Sonnenuntergang, Öl auf Lw., 76 x 100 cm, 1876G Schwering dagegen setzt von Beginn an auf Kontrastierung. Das vermitteln die einzelnen Arbeiten, es spiegelt sich aber auf unterschiedliche Weise auch in der Struktur der Zyklen: In Jeder Tag folgt auf Taghelle jeweils künstliche Beleuchtung bei nächtlicher Dunkelheit. Die Tage des Jahres stellen unterschiedliche Stimmunglagen gegeneinander. Steine und Wasser liefert quasi Urbilder zum Thema „Kontrast“. Und natürlich nutzt Schwering dieses Ausdrucksmittel auch im Zisterzienser-Zyklus:
Bernd Schwering, Corcomroe Abbey, 2014
Fotos zeigen die Corcomroe Abbey – sie liegt an
der Westküste Irlands – in der Regel bei wolkenverhangenem Himmel und
diffuser grauer Beleuchtung: Ruinenalltag sozusagen. Sein Gemälde
indessen fixiert den Chor der Klosterkirche in einem Augenblick, in dem
unmittelbar nach einem Regenguß erste schräg einfallende Sonnenstrahlen
das Gemäuer und die nassen Grabplatten am Boden treffen. Sie
reflektieren das Licht. Im Raum wird eine Aura von himmlischer
Transzendenz spürbar, als sollte den Nachkommen des Erbauers König Conor
na Siudane Ua Brian, denen die Örtlichkeit als Grablege diente, die
Sinnfälligkeit ihrer Jenseitsvorsorge bestätigt werden.
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In sieben "Momentaufnahmen" der Serie
Jeder Tag ist
die erste Phase der Umwandlung einer Brache in erschlossenes Bauland
dargestellt. Während die Umwandlung des Areals hier durch menschlichen
Eingriff erfolgt, sind es in der Reihe
Die Tage des Jahres die
wechselnden Jahreszeiten in Verbindung mit Sonne, Regen, Schnee und
Frost, die den immer gleichen Gebietsausschnitt, ein Stück Fernverkehrsstraße neben einem Wildwuchsareal, in seiner Beschaffenheit
verändern.
Bernd Schwering, Die Tage des Jahres / sonnig, 1982
Bernd Schwering, Die Tage des Jahres / Schnee (1983), regnerisch (1981) Im 3. Zyklus, in den Arbeiten von Steine und Wasser – inzwischen geht es um das „reine Naturbild“ – kommt es zu einer interessanten Verschiebung: Vermittelte sich das der Natur innewohnende Prinzip der Metamorphose bis dahin über sichtbare Veränderungen von Bild zu Bild, so sind jetzt – mit Erlaubnis des Sujets sozusagen – sämtliche Stadien der Transformation in einem Bild fixiert. Betrachtet man den Zyklus unter diesem Aspekt, dann fällt ein Gemälde (60 x 60 cm) aus dem Jahr 1993 besonders ins Auge. Es trägt keinen motivbezogenen Titel wie die anderen Arbeiten (Elba, Granit, Stille), sondern ist ostentativ mit der Vokabel Quadrat bezeichnet.
Bernd Schwering, Quadrat, 60 x 60 cm, 1993
In diesem
Quadrat vollzieht sich – bei Windstärke
null, d.h. in übersichtlichen Abläufen; bei diffusem Licht, so daß weder
Reflexe noch Schlagschatten die Formwahrnehmung einschränken und gefaßt
in einer Bildkomposition, die der Darstellung trotz suggestiver
Konkretheit etwas Emblematisches gibt – die Umwandlung des Naturprodukts
„Welle“ in ein vielförmig flaches Fluten, das schließlich zwischen den
Steinen verläuft. Was sich im
Quadrat präsentiert, ist – „natura naturans“ läßt grüßen –
eine Metapher der Natur ihrer selbst.
Derartigen Momenten, in denen Wellen – Dünung oder Windsee – die flache
Uferzone erreichen, in Brandung übergehen und zerfließen, ist Bernd
Schwering seit den frühen 80er Jahren auf der Spur: an der Westküste
Elbas, auf den Kanarischen Inseln, auf Paros, Naxos, Bali. Und wer schon
einmal in den Bann einer solchen Sensation geraten ist, wo kurzfristig
sämtliches Drumherum ausgeblendet ist und dem Bewußtsein sogar die kalt
am Hintern klebende Badehose abhanden kommt, wird die Suche nach immer
neuen Variationen verstehen. Vielleicht auch seinen Wunsch, diese
flüchtige Zeitspanne, in der man ganz und gar von dem Vorgang
gefesselt ist, in bildhafter
Verdichtung festzuhalten: in ein Kunstwerk umzusetzen, so daß sich jenes
spezifische Involviertsein im Betrachter des Gemäldes rekonstruieren
kann, nacherlebbar wird.
Der Zisterzienser-Zyklus Leuchtende Steine
Wirtschaftshistoriker,
beeindruckt von der ökonomischen Effizienz mittelalterlicher Klöster,
interessieren sich neuerdings zunehmend für Zisterzienserabteien, die
sie dann – u.a. wegen gewisser Parallelen zwischen Kloster- und
Fabrikdisziplin – zu Vorboten des Kapitalismus deklarieren.
Okay, das kann man machen. Was aber fängt heutzutage ein Künstler mit
den Zisterzen an?
Bernd Schwering – soviel ist sicher – macht das, was er zuvor, angesichts
der ihn faszinierenden Meeresufer, auch getan hat. Und die
Betörungsfaktoren, denen die Klosterruinen ihre Verdichtung zum Motiv
verdanken, werden im Vorspann zur Internet-Präsentation der inzwischen
fertiggestellten Arbeiten deutlich benannt: Lustvolles Interesse an
Steinen und „Hochschätzung mittelalterlicher Kunst“.
Bernd Schwering, Kleiner Paradiesgarten,1972
Für diese Hochschätzung gibt es einen anmutigen Beleg in Schwerings
Frühwerk, den 17-farbigen Siebdruck
Kleiner Paradiesgarten nämlich
aus dem Jahr 1972. Dargestellt ist ein Wiesenstück mit zarten
Sommerblumen, das zwischen blaugrauen Metallstaketen zu sehen ist.
Formal gehört die Grafik zum Komplex der Arbeiten, mit denen er – ich
erinnere an die Spiegel- und Fensterbilder – auf veränderte
Wahrnehmungsmodalitäten reagiert. Inhaltlich gesehen könnte man es eine
Liebeserklärung nennen: an das
Paradiesgärtlein eines Oberrheinischen Meisters (1410/20). Hatte er
dabei den „hortus conclusus“ und das heitere Dasein des frommen
Personals um Maria im Auge oder – die andere Ebene des Gemäldes – den
weltlichen Schein der kunstvoll präzise gemalten Tiere und Pflanzen
eines spätmittelalterlichen „Liebesgartens“? Oder war es gerade die
Verflechtung sakraler und profaner Motive, die ihn animierte? Egal. Als
Jungfrau jedenfalls betritt er die Klosterwelt nicht. Allerdings auch
nicht – wie sich zeigen wird – durch das Hauptportal!
Noch einmal also: Was fängt ein Künstler heutzutage mit den Zisterzen an?
Wer zwischen den bislang vorliegenden Bildern des Zyklus einige Male hin
und her pendelt, wird relativ schnell bemerken, daß bei der Motivwahl
bestimmte Aspekte nicht auftauchen.
Auffällig ist: Von den 31 europäischen Ländern, in denen Zisterzienser aktiv
waren oder sind, zeigen sich als „Motivlieferanten“ nur 12, also ein
reichliches Drittel der infrage kommenden Länder, wobei Frankreich
sieben-, Deutschland dreimal vertreten ist. Offensichtlich also spielt
die Spiegelung der numerischen Gegebenheiten bei der Auswahl der Sujets
keine entscheidende Rolle.
Was Schwering gänzlich ignoriert,
sind die Besucher (Le Thoronet in der Provence z.B. kommt in den
Sommermonaten auf 1300 pro Tag), sind ad zwei die Gegebenheiten der
touristischen Infrastruktur, also Parkplätze, Verkehrsschilder,
Informationstafeln, Souvenirläden und Gastronomieeinrichtungen.
Selbstverständlich bieten sich während einer Besichtigung immer
Möglichkeiten, Chorruine oder Kapitelsaal isoliert, d.h. ohne ihr
Gegenwartsumfeld zu sehen, dieses Umfeld aber durchgehend auszublenden,
ist ein Signal: Das Phänomen „Kloster-Fremdenverkehr“ scheint ihn in
diesem Arbeitszusammenhang nicht zu interessieren. Ein anderer Punkt – die besondere kultur- historische Bedeutung einzelner Zisterzen – wohl auch nicht, was anläßlich der ersten Ausstellung im Kloster Kamp, Zisterziensergründung Nr. 1 im deutschsprachigen Raum, deutlich wurde. „Orte der Zisterzienser in Europa“ lautete der Untertitel der Schau, aber die für den Orden entscheidenden Ansiedlungen, also Cîteaux, das 1098 gegründete Ursprungs- bzw. Mutterkloster der Zisterzienser und die zu Beginn des 12. Jahrhunderts dazugekommenen Tochterabteien La Ferté, Pontigny, Morimond sind in seinem Konvolut nicht enthalten und eben auch nicht Clairvaux, die durch Bernhard von Clairvaux im Jahr 1115 ins Leben gerufene Abtei in der Champagne. Sie taucht auch 2017, im Zuge einer umfangreichen Präsentation im Landesmuseum Bonn, nicht auf. 4 Und wenn andere bekannte Klöster wie Alcobaça in Portugal (UNESCO-Weltkulturerbe) oder die oft gemalte Chorruine Heisterbach im Zyklus auftauchen, dann sind sie nicht als wiedererkenn- bare Glanzstücke ins Bild gesetzt.
Bernd Schwering, Alcobaça, 2011
Die Kirche von „Alcobaça“
z.B. zeigt Schwering ohne Kirchengestühl. Er verzichtet auf fotogra- fische Authentizität,
steigert aber durch den Eingriff – da der Blick aufgrund des fehlenden
Gestühls nicht am Boden gehalten wird und der nach oben führenden
Säulenkonstruktion folgen kann – die räumliche Wirkung. Sein Heisterbach ist wegen der visuellen Distanz zur landläufigen, das 19.
Jahrhundert perpetuierenden Sicht auf das Kloster ad hoc kaum zu
erkennen. Assoziationen also in Richtung „Rang und Namen“ stellen sich
nicht ein, zumal sämtliche Motive in den Maßen 40 cm x 40 cm
(Breitformate: 40 cm x 50 cm) und in der immer gleichen einfachen weißen
Holzrahmung gezeigt werden. Schwerings Favoriten?
Es tauchen unterschiedliche ehedem „wilde“, „abseits der Weltleute“ liegende
Landschaften auf: ein Tal in den Westalpen (Aulps), der Burren, eine
steinige Karstregion in Irland (Corcomroe), die verschilfte
Quelle eines Seitenarms der Andelle in der Normandie (Fontain Guérard) und
die
Insel Tautra in der Mitte des
Trondheimfjords
(Tautra). Er bringt die Jahreszeiten ins Spiel: Raureif und
dunstiges Winterlicht verstärken den Eindruck von Abgeschiedenheit (Aulps);
das klare Nachmittagslicht des Vorfrühlings bringt die Backstein- Ruine
von Boitzenburg zum Leuchten und läßt die architektonischen Details in
besonderer Deutlichkeit hervortreten. Präsent sind Romanik und Gotik,
die zwei Stilepochen des Hochmittelalters, sowie eine „Barocke Fassade“
(Stift Stams, Tirol); sichtbar werden regionale stilistische
Eigenheiten ebenso wie naturbedingte Präferenzen für bestimmte
Baumaterialien (Coxwell Barn, Convento Calatrava Nueva).
Zu sehen sind einige der typischen Gebäude zisterziensischer
Klosteranlagen: Kreuzgang (San
Benedetto), Brunnenhäuschen (Valmagne), Kapitelsaal (Fontain
Guérard), Refektorium (Huerta), Dormatorium (Le Val),
Infirmerie (Ourscamp) und ein signifikantes Beispiel für die
Gestaltung der Abteikirchen (Alcobaça). Und – last not least –: 4
Arbeiten widmen sich Frauenkonventen (Fontain Guérard,
Boitzen- burg, San Benedetto und Tautra).
Zweifellos sollen möglichst viele
Facetten
der zisterziensischen Klosterkultur
zum Vorschein kommen, so daß die Zusammenstellung bis zu einem
gewissen Grad als pars pro toto gelten kann.
Zurück noch einmal zu Rahmung und
Format: Diese Art der Darbietung korrespondiert mit den Anordnungen
(instituta) Stephan Hardings, des 3. Abtes von Cîteaux (1109-1134). Sie
verlangten Einfachheit sowohl bei den liturgischen Gewändern und Geräten
als auch bei der künstlerischen Gestaltung der Kirchen. Bildgröße und
Rahmen repräsentieren das Schlichtheitsgebot der Zisterzienser, das jede
Ausstellung des Zyklus´ begleitet und eigentlich eingreifen müßte in den
bildnerischen Auftritt von Kirche und Kapitelsaal. Das geschieht auch,
aber anders als erwartet!
Steht man vor den Originalen, vermittelt sich der Eindruck, daß die von Schwering ausgewählten Motive mit geradezu insistierender Eindringlichkeit in Erscheinung treten. Und das nicht trotz, sondern wegen des 40x40-Formats der Gemälde. Offensichtlich aktivieren diese nicht vergangenen Relikte monastischer Vergangenheit bei ihm ein beträchtliches Quantum an Vergegenwärtigungs- energie, die sich, gefordert sozusagen durch die Maßvorgaben – umsetzt in komprimierte Form, so daß ein kompakter, aber dennoch differenzierter Ausdruck entsteht. Orval zum Beispiel: Das wuchtige Fragment scheint sich aus dem Geviert herauszudrücken, ein Effekt, der sich durch die Darstellung „über Eck“ noch verstärkt. Spürbar wird nicht nur dessen Dinghaftigkeit, sondern auch, was den Ruinen der Abtei noch immer – ehedem durch die architektonische Formung des Baumaterials implementiert – an Sehnsucht nach Transzendenz innewohnt.
Oder Kloster Thoronet: Greifbar wird die spezifische Oberflächentextur der alten
Gemäuer; man reagiert auf die Emotionen auslösenden Komponenten des
Materials und könnte sich vorstellen, dort, „geborgen“ im Halbschatten
an der „warmen“ Mauer, einen Nachmittag kontemplativ dösend zu
verbringen. 1 Bernd Schwering wurde 1945 geboren x
2
Die älteren
Zeitgenossen zumindest hatten Sätze wie „Kunst und Natur ergeben
einen schlechten Reim“ oder „Wo die Kunst das Feld des
Gegenständlichen tangiert, ist sie nur zu Besuch -
verbotenerweise!"(Albrecht Fabri) durchaus noch nicht
vergessen. x
3„Acryl ist eine
´Jetzt-Farbe´, die keinen Anachronismus aufkommen läßt. Sie ist
ein Produkt unserer Zeit wie die zivilisatorischen Eingriffe,
die ich in meinen Landschaften oft darstelle. Insofern besteht –
auch von den Farben her – eine direkte Beziehung zum Inhalt der
Bilder.“ Apex-Interviews Nr. 1, 1974
4 Bernd Schwering,
Leuchtende Steine – Ein
Maler an den Orten der Zisterzienser, LVR LandesMuseum Bonn,
30. November 2017 – 18. Februar 2018 |
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