ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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 Orval, Limburg, Belgien

 


Ruinen des alten Klosters, Ausschnitt

Von Trier aus auf der A1 über Luxemburg erreicht man nach anderthalb Stunden das Kloster Orval in Belgien. Seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts leben dort Zisterzienser der strengeren Observanz. Hochgelobtes Erzeugnis „ihrer Hände Arbeit“ ist ein Bier, das seit 1931 nach dem Rezept des ersten Braumeisters namens Pappenheimer gefertigt wird und als „Authentic Trappist Product“ in den Handel kommt: begleitet von einem bemerkenswerten Signet.



Es zeigt einen aus dem Wasser springenden Fisch mit einem goldenen Ring im Maul. Das Signet zitiert den entscheidenden Moment einer Legende, der zufolge Markgräfin Mathilde von Tuszien (Toskana) in Begleitung ihres Vasallen, des Grafen von Chiny, Ländereien in Lothringen besuchte. Und dort, wo später das Kloster Orval entstand, fiel während einer Rast ihr goldener Ring in den Brunnen. Sie schickte ein Stoßgebet zur hl. Maria, worauf eine Forelle aus dem Wasser schnellte und den Ring zurückbrachte. Wie Paulinus, die Wochenzeitung im Bistum Trier kürzlich noch einmal bestätigte, soll Mathilde überglücklich ausgerufen haben: „Wahrlich, dies ist ein goldenes Tal!“ (Val d´Or) und dieses Areal hat sie dann – folgt man den Aufzeichnungen des Abts von Echternach Jean Bertels aus dem Jahr 1595 – für die Klostergründung gestiftet.
 
Während andere Meriten Mathildes – als Eignerin der Burg Canossa vermittelte sie z.B. erfolgreich in der Auseinandersetzung zwischen Papst Gregor VII. und  König Heinrich IV. (Gang nach Canossa) – historisch gesichert sind, ist ihr Anteil an der Klostergründung Orvals (1070) wie auch das, was in der Folge passiert sein soll, die Besiedlung nämlich durch Benediktiner aus Kalabrien und deren Ablösung durch „eine kleine Gemeinschaft von Kanonikern“ (1110), nicht eindeutig zu belegen. Auch nicht durch archäologische Ausgrabungen, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben. Entscheidend aber: Die einzige zeitgenössische Quelle, die sog. Gründungsurkunde von 1124, auf die man sich, was die Frühphase der Abtei betrifft, Jahrhunderte lang beziehen konnte, wurde 1968 als Falsifikat enttarnt: fabriziert höchstwahrscheinlich von Bernhard de Montgaillard, zwischen 1605 und 1628 Abt von Orval.



Er hat das Kloster in geistlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu neuem Leben erweckt, galt daher als dessen „zweiter Gründer“ und konnte wohl der Versuchung nicht widerstehen, via Fälschung die erste Gründung durch die bedeutende Markgräfin Mathilde zu nobilitieren. „Um so“, wie es Toshio Ohnuki von der Okayama Universität in Japan formulierte, „die geschichtliche Bedeutung und die Legitimität der Abtei als das wichtigste geistliche Zentrum des Landes zu stärken.“ Immerhin aber erlauben die mittelalterlichen Quellen den Schluß, daß Orval erstmals im Jahre 1131 von den Zisterziensern gegründet wurde, ein Datum übrigens, daß man sich gut merken kann, denn genau 800 Jahre später begann, wie gesagt, in Orval die Klosterbier-Produktion.

Am Ende dieser höchst fragilen Gründungs- geschichte aber steht als handgreifliches Faktum die noch vor 1200 fertiggestellte Klosterkirche, von der heute allerdings nur noch Ruinen erhalten sind. Mathilde von Tuszien und die springende Forelle aber haben nicht „mitgebaut“.



Mathilde von Tuszien (Bildnis aus dem 16. Jahrhundert, gestaltet möglichweise nach einem verlorengegangenen Prototyp aus dem Hochmittelalter)

Ihre Legende nämlich ist erst 400 Jahre später von frühneuzeitlichen Geschichtsschreibern erdichtet worden.  
                                          

Schwering wählt als Motiv einen Teil der sog. Vierung, d.h. den Bereich, wo sich – bei kreuzförmigen Grundriß – Mittel- und Querschiff überschneiden und der als sakrales Zentrum im Kirchenraum gilt. Vorbereitet durch Texte und Predigten Bernhards von Clairvaux, Mystiker und „spiritus rector der Zisternzienser“, konnte der Blick gerade von hier aus in die Höhe, in das auf göttliche Sphären verweisende Gewölbe, zur paradiesischen Erfahrung werden.

                                                    

 
 

Bernd Schwering, Orval, 40 x 40 cm, 2009

An gleicher Stelle unterhalb des Kirchenbodens lag die Krypta, wo – sofern vorhanden – die Reliquien von Heiligen aufbewahrt wurden, deren Bedeutung (nicht nur für die klösterliche Gemeinschaft) heute kaum noch zu ermessen ist. Venedigs Aufstieg und Reputation z.B. beruhte auch auf der Tatsache, daß  – so die Legende – die Stadt seit dem 31. Januar 828 im Besitz der Gebeine des heiligen Markus war: entwendet und unter gepökeltem Schweinefleisch versteckt per Schiff in die Lagunenstadt „überführt“. Und nicht von ungefähr befand sich der Bereich für den chorus major in dieser Zone. Siebenmal am Tag trafen die Mönche hier zum Offizium divinum, zum „göttlichen  Dienst“ zusammen und schickten ihre Gebete, die Psalmen und Lobgesänge wie Vexilla regis prodeunt, eine Hymne auf das Kreuz Christi, oder Ave maria stella („Meerstern, sei gegrüßt“) nach oben.

Wie inszeniert Schwering sein Motiv? Beim Vergleich mit Fotos, die man im Internet findet, fällt sofort ins Auge, daß er bestimmte von seiner Intention ablenkende Gegebenheiten negiert bzw. korrigiert. Zufällig blühende Kräuter an den Säulenfüßen etwa übersieht er; die touristischen Trampelpfade werden zu sattgrünem Rasen, einer Fläche, die – unter Mitwirkung der schwarzen Schlagschatten der Eckpfeiler – mit dazu beiträgt, den Eindruck von Gewicht und Standfestigkeit der Ruine zu verstärken. Und anstelle des – was Form und Farbe betrifft – diffusen Buschwerks hinter der runtergebrochenen Mauer des Seitenschiffs erscheint eine geschlossene Baumkrone, deren Grün die Färbung des Rasens aufnimmt und damit, via Komplementärkontrast, die Farbwirkung auch im oberen Teil des Gemäuers auf unspektakuläre Weise forciert.  

   
Bernd Schwering, Blick auf die Vierung, Skizze

Mit Hilfe einer Grundrißskizze wird deutlich: der Blickpunkt befindet sich außerhalb des Bildes, und zwar dort, wo das Querschiff auf das rechte Seitenschiff stößt. Das Objekt wird, wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, „über Eck“ gezeigt. Aufgrund dieser Sichtweise kommen die drei mächtigen Pfeiler und die zwei rechtwinklig zueinander stehenden Wände der Ruine zum Vorschein, so daß sich deren einfache, durchschaubare Konstruktion direkt vermittelt, ja, Affektion auslöst. Durch einen weiteren Kunstgriff – er präsentiert das Fragment aus der Froschperspektive – bringt Schwering auch dessen vertikale Dimension wirksam ins Bild. Dabei wird das Auge nicht in Sekundenbruchteilen nach oben geführt, sondern durch Gesimse, durch umlaufene Ringe und die floralen Kapitelle der Halbsäulen punktuell aufgehalten. Die Höhe erschließt sich mit minimaler Verzögerung – aber mit spürbarem Nachklang. Dafür sorgt, indem es die waagerechten Strukturierungselemente hervorhebt,  auch das schräg einfallende Nachmittagslicht. Zudem verleiht es dem Knochengrau des Gemäuers eine zwischen Hellbraun und Rotocker wechselnde, Wärme suggerierende Kolorierung, die sich – nebenbei gesagt – wie ein Leitmotiv durch Schwerings Leuchtende Steine zieht. Es modelliert die plastischen Details der gotischen Bögen, belebt durch Licht und Schatten die applizierten Halbsäulen und läßt dort, wo es das Gemäuer streift, sogar die Textur der einzelnen Steine sichtbar werden. Und liefert damit die bildlogische Begründung für einen künstlerischen Eingriff, über den der Ruine eine weitere Komponente ihrer schlichten, ja, keuschen Schönheit, ihrer besonderen Ausstrahlung implementiert wird. Schwering kombiniert, was ihm die Anschauung aus
sieben bis acht Meter Entfernung bietet (Umfeld, Umriß, Konstruktion etc.), mit den Impressionen, die sich bei der Betrachtung aus unmittelbarer Nähe, wohl auch im Zuge haptischer Wahrnehmungen einprägen. Während das Streiflicht einerseits – exemplarisch dargestellt am unteren Teil des mittleren Pfeilers – die Stabilität des Mauerwerks hervorhebt (die „sauberen“ Fugen, die „unversehrten“ Kanten), bringt es oben, wo über dem Arkadenbogen die Wandverkleidung verlorengegangen ist, Gestalt und Textur der einzelnen Steine des Rohmauerwerks zum Vorschein.



Bernd Schwering, Orval, Ausschnitt

Abgesehen davon, daß dessen organisch-naturhafte Anmutung per Kontrast die visuelle Präsenz der glatten Säulenschäfte wie auch der ornamentalen Kapitelle steigert und damit die Attraktivität der Ruine insgesamt erhöht, eröffnet sich über die Art der Stilisierung ein breites Assoziationsfeld: Sie evoziert die Vorstellung einer porösen, atmenden Oberfläche. Dadurch wird das Artefakt nicht als Gegenbild zur Natur, sondern als Arrangement mit der Natur empfunden. Die Masse an je einzeln be- und verarbeiteten Steinen läßt die kollektive Anstrengung der am Bau Beteiligten ahnbar werden, natürlich auch etwas von der Kraft der sie tragenden Vision. Zudem ergeben sich Verknüpfungen zu älteren Ruinen, wie man sie etwa in Pompeji* oder Ostia Antica sehen kann. Tatsächlich sind ja einige der frühen Klöster in Kastell-Ruinen bzw. aufgelassenen römischen Siedlungen entstanden. Kurzum: Durch die Schweringsche Inszenierung erfährt die Ruine eine Erweiterung ihrer Bedeutung. Sie liefert nicht allein die Spiegelung der zisterziensischen Liturgie. In Abwandlung dessen, was der französische Dichter Stendhal 1828 über das Kolosseum notierte
[1], könnte man sagen: Damals war der Bereich der Vierung nur ein Teil der Abtei, in seiner Darstellung wird sie zum markanten Wahrzeichen mittelalterlicher Klosterkultur.

* Bemerkenswert: Die Spuren von "Pompeji-Rot" am vorderen Pfeiler.
   
1 „… Damals war es nur ein Theater, jetzt hingegen ist es das schönste Wahrzeichen des römischen Glanzes."
   

 

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