ARMIN SCHREIBER |
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Zebra und nutella | ||||||
Bei
der Suche, verehrte Damen und Herren, nach einem zündenden Einstieg in
diese Rede, kam mir - nach einigen Fehlzündungen -
unverhofft jener
Brotaufstrich zu Hilfe, den sich, wie kürzlich zu lesen war, die
Prinzessin Heide von Hohenzabern ebenso gern wie die deutsche
Fußballnationalmannschaft aufs Brötchen schmiert. Ich meine die von der
Firma Ferero kreierte „Supercrema“, die in den 60er Jahren einen neuen
Namen erhalten mußte, weil die damals im Amt befindliche italienische
Mitte-Links-Regierung die Verwendung des Wortes „super“
bei Konsumgütern per Gesetz verboten hatte. Mit dieser Crema,
eskortiert überraschenderweise vom Sportverein SuS Northeim, konnte ich
einsteigen. Wieso aber SuS Northeim?
Ein einziges Mal in seiner Vereins-Geschichte spielte der SuS Northeim im DFB-Pokal. Zu Gast hatten sie damals den deutschen Vizemeister Meidericher Spielverein und der glaubte, die Northeimer mit links abfertigen zu können. Aber, das wissen Sie, meine Damen und Herren: im Pokal gelten andere Gesetze. Will sagen: Nach der regulären Spielzeit stand es 0:0. Lange Gesichter bei den Duisburgern und ihrem Trainer Rudi Gutendorf, aber die Entscheidung fiel dann doch, und zwar in der Nachspielzeit, genauer, in der 114. Minute, durch ein Eigentor der Northeimer, was die Duisburger, deren Vereinshymne mit den Worten „Wir sind ZEBRRAs“ beginnt, 1965 eine Runde weiter brachte, den Northeimern aber auch etwas bescherte: im Jahre 2005 nämlich das Jubiläum zur 40. Wiederkehr dieser denkwürdigen Begegnung.
Und jetzt der Satz, meine Damen und Herren, auf den
Sie nun sicherlich eingestimmt sind: Im Jahr 1965, in dem das 2.
Vatikanische Konzil zu Ende ging, Winsten Churchill starb, Nutella und
der erste 500-DM-Schein in Deutschland auftauchten, der Alkoholtest
eingeführt, der Beatle-Film „Help!“
aufgeführt
und die Hard-Core-Band „Scorpions“ ins Leben gerufen wurde: 1965 also gründeten Dieter Asmus, Peter Nagel, Dietmar Ullrich
und Nikolaus Störtenbecker, der später eigene Wege ging, in Hamburg die
Gruppe ZEBRA. „Gegründet“ ist eigentlich der falsche Ausdruck,
denn de facto – nur eben ohne Namen – bestand die Gruppe bereits seit
1960. Zu dem Zeitpunkt hatten sich die Beteiligten, alle um 1940 herum
geboren, an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg getroffen und
relativ schnell zweierlei
erkannt. Erstens ihr gemeinsames
Ziel, die sichtbaren Erscheinungen der Wirklichkeit wieder in die Kunst
zurückzuholen und zweitens, daß ihnen der Lehrkörper des Instituts bei
der Erreichung dieses
Ziels
keine Hilfe
würde angedeihen lassen können wollen! Denn der befand sich noch im
Rausch der Abstraktion und im Banne jenes idiotischen Diktums der
Frankfurter Schule, demzufolge ein Künstler nicht Realist und zugleich
„modern“ sein könne. Die ZEBRAs in spe bezogen also ein gemeinsames
Atelier im denkmalgeschützten Dachstuhl der Hochschule, blieben
weitgehend unbehelligt und malten zunächst mal wie Jean Dubuffet.
Vielleicht lag es daran, daß Dubuffet sich zuvor beruflich mit Wein
beschäftigt und erst im Alter von 40 Jahren seine künstlerische Vision
am Wickel hatte: er jedenfalls überspielte dieses
„Entweder-Oder“ und war beides: Aufgrund starker Affinität
zu Texturen galt sein Werk – gesehen durch die Brille der Abstraktion –
als „absolut modern“. Gleichzeitig aber wiesen seine Arbeiten über diese
Moderne hinaus, denn die meist haptisch-plastischen
Farbzusammenballungen waren nicht selbstreferentiell gemeint, sondern
bezogen sich auf real Existierendes, auf Landschaften meist, auf Tiere,
Menschen und Artefakte, was auch in Titeln wie
„Die Kuh mit der empfindlichen Nase“ oder „Reisender ohne Kompaß“ zum Ausdruck
kam.
Genau das, über die durchs Informel geprägte Moderne
hinauszugehen, aber noch einige Schritte weiter als Dubuffet, schwebte auch den zukünftigen ZEBRAs vor und so entfernten sie
sich – ab 1962 etwa – schrittweise von ihrem Vorbild, bis schließlich –
1965 – vom Dubuffet nichts mehr zu sehen war, d.h., auf den Leinwänden
Gegenstände und Figuren auftauchten, die
ihrer Vorstellung, der ZEBRA-Vision eines „Neuen Realismus“ entsprachen.
In der letzten Phase dieser Entwicklung entsteht eine
interessante Situation: Arbeiten aus dem Jahren 1962/63 wie „Haus mit
Rauchfang“ (Asmus) oder „Torso“ (Ullrich) zeigen, daß
die Einheitlichkeit der
Fläche zwar schon zur Disposition steht, aber im wesentlichen (keine
Raumillusion!) noch immer gewahrt bleibt. Noch also, Anfang 1964, gilt
auch für die ZEBRAs in spe das von Manet in die Welt gesetzte „Plus
c’est plat, plus c’est de l’art“, was man, locker formuliert, mit „Je
platter, desto kunster“ übersetzen könnte oder in damaliger Diktion: Wer
auf der Fläche der Leinwand Plastizität und Räumlichkeit darstellt und
damit die Bildflächenintegrität verletzt, ist kein moderner Maler! Die
Omnipräsenz dieser Vorstellung blockiert eine zeitlang den nächsten Schritt.
Dann aber – ein
kulturhistorisches Kuriosum – sind es ausgerechnet Flächen, die dem
kurzfrisitg stagnierenden Formfindungsprozeß zur Fortsetzung verhelfen. Über die
alternierende Anordnung verschiedenfarbiger, schmaler, mehr oder weniger
gebogener Flächen, über Streifen nämlich, die ja bei Hosen und Jacken, Sesseln,
Sofas, Bällen etc. realiter anzutreffen sind, gelingt die endgültige
Trennung von
dem
Dogma der
klassischen Moderne und ein wesentlicher Sprung auf den Neuen Realismus
zu. Aus der haptischen, also mit Händen greifbaren, lediglich auf den
Betrachter gerichteten reliefartigen Halbplastizität wird optische
Plastizität. Nicht von ungefährt wird das Zebra zum Wappentier der
Gruppe.
Konstruktive Plastizität durch Licht-Schatten-Modellierung: Dieter Asmus, "Kniende mit Ball", 1965
Wenn ich Ihnen, meine Damen und Herren, die 4
Jahrzehnte zurückliegende Nutella- und Fußballgeschichte aufgetischthabe, dann auch deshalb, weil ich auf der damit angelegten Zeitschiene
noch etwas weiter zurückzugehen möchte, zurück in die Kriegs- und
Nachkriegszeit der 40er Jahre, um dort ein paar
biographische
Fakten ausfindig zu machen, die für
die Entwicklung des Neuen Realismus der Gruppe ZEBRA bedeutsam waren:
nicht ausschließlich, das ist klar, aber doch unterschwellig mitwirkend. Auf erste Hinweise stieß ich bei Recherchen für einen Aufsatz ("Da, Runkelrüben!- Maler malen, und auch noch realistisch", in: MERKUR, 12/2003), bei dem es um die Frage ging, weshalb Maler so malen wie sie malen, wo also – Bildhauer einbezogen – die Form ihren Ursprung hat, in der dann Wellen, Waden, Blumenkohl etc. zum Vorschein kommen. Und weiter: Ob – was Dürer „inwendige Figur“, Michelangelo „Vision“, Raffael „idea“ oder Friedrich „Bild des geistigen Auges“ genannt hatten –, ob solcher Art Bildvorstellungen – Kokoschka bezeichnete sie als „wahre Träume und Visionen von zwingender visueller Überzeugungskraft“ –, heute, bezogen auf künstlerischen Output, noch oder wieder im Spiel sind. Anhaltspunkte, kurz gesagt, ergaben sich aus den Künstleräußerungen, genauer, aus den Schilderungen bestimmter Momente oder Phasen ihrer frühen Kindheit. So war z. B. bei Christa Biederbick, die später der Gruppe ZEBRA beitrat, eine Beziehung erkennbar zwischen ihren heutigen Figuren und der Puppe, die für sie als Kind wegen der kriegsbedingten Trennung vom einem Teil der Familie eine besondere Bedeutung hatte.
Christa Biederbick, "Mädchen auf rotem Tuch", 1971/72
So wurde Peter Nagels
formale Prägung durch eine in feurigen Farben inszenierte, grell
beleuchtete Märchen-Aufführung offensichtlich, die er 1943 erlebte: in
einer Schule bzw. dem Luftschutzbunker daneben. Und auch die
Formvorstellungen von Dieter Asmus – letztes Beispiel –
gehen auf ein bestimmtes nächtliches Erlebnis aus dem Sommer 1943
zurück, auf die Explosion einer Luftmine und den Anblick der vor
aufgehelltem Himmel rotierenden, wie in Zeitlupe wahrgenommenen Teile
des zerborstenen Schornsteins: Plastisches vor glattem Hintergrund – wie
es seine Bilder noch heute zeigen!
Nun können solche, die spätere Form von Bildern und
Plastiken bestimmenden Prägungen auch unter anderen Umständen
stattfinden, aber man darf wohl davon ausgehen, daß sie hier – unter dem
Eindruck der Kriegsereignisse –
mit zusätzlichem Druck erfolgten und somit für besonders
„haltbare“ Muster sorgten, für Muster oder Formvorstellungen, deren
bildgebende Kraft bis in die Gegenwart anhält.
Daß Dietmar Ullrich so malt wie er malt – extrem plastisch, kühl in den Farben, metallisch wirkende, die Figuren von der Außenwelt isolierende Oberflächen – das geht jedoch nicht, wie er mir versicherte, auf ein derartiges, primär visuelles Grunderlebnis zurück, sondern hat sich folgerichtig entwickelt: gesteuert durch den Wunsch, ganz bestimmte Inhalte angemessen darzustellen. Diese Inhalte aber fußen – und hier zeigt sich eine andere Art der Verbindung von Biographie und Kunst – auf existentiellen Bedrückungen während der Kriegs- und Nachkriegszeit. Wie Dieter Asmus in Hamburg und Karlheinz Biederbick in Dresden, so hat Dietmar Ullrich im Alter von 5 Jahren die Bombardierung seiner Geburtstadt Breslau erlebt: als ein ganz und gar sinnloses, ihm unverständliches Geschehen, das mit großer Wucht über die Bewohner hereinbrach. Zweifellos waren diese Ereignisse bestimmend für die Ausbildung seines skeptischen, ja pessimistischen Blicks auf die Betätigungen eines modernen Lebensvollzugs, auf heutige Denk- und Verhaltensweisen.
Dietmar Ullrich, "Mann in Folie", 1996 Diese negativ fundierte Sicht prägt die Ullrichschen Arbeiten von Beginn an bis in die Gegenwart: 1965/66 führt sie zur Darstellung von behinderten Kindern, später zu Sportlern in blödsinnige Aktivität oder, 1996, zum "Mann in Folie". Eine der letzten Arbeiten (2004) zeigt den formatfüllenden Ausschnitt eines Vorhanges, dessen an Kabuki-Theater-Totenköpfe erinnernde Embleme – bedingt durch die Farbe und Fältelung des Stoffes – ein goldglänzendes, groteskes Mienenspiel entstehen lassen, als sollte davon abgelenkt werden, daß hinter dem Vorhang möglicherweise gar nichts ist!
Dietmar Ullrich, "Vorhang", 2004
Das Positive oder Zuversicht auslösende
seiner Gemälde besteht darin, für die latenten, ja durchaus nicht neuen
– man könnte fast sagen: genetisch verankerten – existentiellen
Grundzweifel...
einen
zeitgemäßen, sinnbildhaften Ausdruck geben. Den hat man nun greifbar vor
sich und kann, das auf jeden Fall: Stellung nehmen.
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Karlheinz Biederbick, "Kranzniederlegung III",
Karlheinz Biederbick, "Hitler mit seinen Generälen", 1998 Unter Umständen liegt es daran, daß Karlheinz Biederbick, geboren 1934, also 6 Jahre vor Dietmar Ullrich, die Kriegs- und Nachkriegszeit schon bewußter erlebte und in anderer Weise betroffen war, denn er reagiert – was seine spätere Arbeit als Künstler betrifft – anders, zweigleisig, könnte man sagen. Einerseits entstehen Arbeiten wie „Aufbruch, Kundgebung der Deutschen Wissenschaften am 11. Nov. 1933 in Leipzig“ und „Kranzniederlegung“ oder "Hitler und seine Generäle", in denen die Borniertheit, Arroganz und ideologische Verblendung der Machthaber und ihrer Gefolgschaft zum Vorschein kommt, dargestellt oft – ich denke an die eindringlichen Terracotta-Reliefs – in attackierender karnevalesker Überzeichnung. Karlheinz Biederbichk: "Es bereitet mir jedes Mal einen kleinen Triumph, die wichtigen und unwichtigen Akteure - bevor sie ins Relief kommen - als Würtchen durch die Finger gleiten zu lassen."
Karlheinz Biederbick, "Mann auf Badewanne", 1971
Auf der anderen Seite modelliert er Plastiken wie
„Urlauber“ oder „Mann auf Badewanne“, Figuren, die eine gänzlich andere
Ausstrahlung besitzen. Mit wirklicher Zuneigung spricht er – in der
Sprache der Bildhauer – über die konkrete Erscheinung des Herrn Müller
oder Meyer, über dessen Speckfalten
oder darüber, wie seine Ohren beschaffen sind und er sagt dazu in
einem Interview: „Indem
wir
nicht Vorstellungen installieren helfen und damit die leibhaftige
Anwesenheit des Herrn Meyer erdrücken, sondern ihn als Beispiel für
sichtbare Existenz zur Sprache bringen..., sprechen wir gegen die
Deformierung des Lebendigen durch Vorstellungen und Ideologien.“
Christa Biederbick, "Familienfotos aus der Kriegszeit - Mutter und Kind",2000-2004 Bei dem „Wir“ des eben zitierten Satzes handelt es sich nicht um einen Pluralis Majestatis, mit „Wir“ sind Karlheinz und Christa Biederbick gemeint, was durch einen Blick auf ihre Arbeiten sofort einleuchtet. Über die formalen Beziehungen zwischen der kleinen Puppe und ihren lebensgroßen Figuren wurde bereits gesprochen, aber gerade die zuletzt entstandenen „Plastischen Bilder“ nach Familienfotos aus der Kriegszeit zeigen, daß auch hinsichtlich der Motive die Ereignisse der 40er Jahre noch immer nachwirken, wenngleich hier sicherlich, und das gilt generell, auch andere Intentionen ins Spiel kommen. Dargestellt sind Momentaufnahmen familiärer Begebenheiten, wobei zweimal auch das Kind Christa und einmal, in der Hand der Mutter, die bewußte Puppe zu sehen ist. Bemerkenswert an dieser Werkgruppe ist u.a., wie hier die Ausstattung der Protagonisten, die Hüte, Mützen, Mäntel und der typische 40er Jahre-PKW, auf dem die Mutter posiert, wie vor allem auch die Uniformen in einen, ja, fast befremdlich wirkenden Zusammenhang geraten.
Christa Biederbick, "Familienfotos aus der Kreigszeit", 2000-2004
Angesichts dieser Plastiken, wenn etwa der Vater in voller
Militär-Montur den Pudel Männchen machen läßt oder Onkel und Oma
fotografiert werden, und zwar in diesem ganz speziellen, von
Wehrmachtsfotos her bekannten Motorrad mit Beiwagen, geraten fest
verankerte Einprägungen ins Rutschen: Was sich in unserer Vorstellung
mit dem geschichtsnotorischen,
sozusagen offiziellen Bild der NS-Zeit verbindet, das wird hier zum
Inventar privater Enklaven, die inmitten allgegenwärtiger Staatlichkeit
wenigstens phasenweise entstehen konnten. So wirken diese Szenen –
vielleicht gerade
weil
der politische Hintergrund immer gegenwärtig bleibt – wie
Inbilder richtiger Momente im falschen Leben.
Auch Peter Nagel kann sich an die nächtliche
Bombardierung seiner Geburtsstadt erinnern, die er 1943, gemeinsam mit
zahlreichen Flüchtlingen und Evakuierten von einem weiter nördlich
gelegenen Bauerhof aus beobachtete: an den hell erleuchteten Himmel, die
an- und abfliegenden, auch abstürzenden Bomber und das, so Nagel,
„undefinierbare Gegrummel und Getöse aus 80 km Entfernung“. Ebenso sind
ihm die trostlosen Ruinenlandschaften Kiels und die Bombentrichter im
Umkreis der Kanalbrücken im Gedächtnis geblieben, mit denen er später,
in den 50er Jahren, konfrontiert war.
Peter Nagel, "Dachgarten", 1971
Eine Beziehung allerdings zwischen diesen frühen
Wahrnehmungen und seiner realistischen Malerei sieht er nicht. Wörtlich:
„Die Begründung „Kriegszerstörungen“
für mein Bedürfnis nach „intakter“ Figur wäre in
meinem
Fall zu hergesucht.“
Statt dessen bietet er einige für ihn näherliegende Begründungen an, die ich hier anführen möchte. Sie fixieren im Telegrammstil, was sicherlich auch die anderen ZEBRAs – gesehen als Ergänzung, Folge oder Weiterung – unterschreiben würden: Als erstes nennt er die „Abneigung gegen den Kult des Flüchtigen und den Zynismus des Minimalistischen. Des weiteren führt er an: „Lust auf die Sinnlichkeit des Körperhaften, Spaß am Illusionismus und künstlerische Intelligenz als Entwurf gegen das Destruktive.“ Man braucht hier nur noch das nach wie vor weitverbreitete „Painting the Painting“ und den sogenannten „strategischen Dilettantismus“ hinzufügen, dann hat man die wesentlichen „Aversions-Partner“ der ZEBRA-Künstler beisammen.
Peter Nagel, "Kind mit Bauklötzen", 1976 Die letzte biografische Einblendung betrifft Dieter Asmus: Als Perversion empfand der 20jährige Kunststudent, daß und wie sich seine Professoren an den Brandmauern der Trümmergrundstücke, die für Hamburgs Bewohner auch 1960 noch den existentiellen Notfall ihrer Stadt verkörperten, delektierten, und zwar wegen der dort auftauchenden, ach so ästhetischen Graubraun-Töne. 20 Jahre später, bei einem gemeinsamen Besuch des Vatikanischen Museums in Rom, eine ähnliche Reaktion: Spürbare Gereiztheit angesichts der langen Reihe demolierter Marmorkörper und -Köpfe aus der Antike. Aber seine den Kriegsfolgen zuzuschreibende Abneigung gegenüber zerstörten Kunstdingen und profanen Gegenständen formte sich um: in ein nahezu obsessiv zu nennendes Bedürfnis nach Wiederaufbau – könnte man sagen, nach komplexer „Neuerstellung von Dingen im Bild“, wie es im Manifest der Gruppe ZEBRA heißt.
Dieter Asmus, "Greifprobe", 1982
Ob es um die Greifprobe geht, die
ein neugeborenes Kind absolvieren muß oder um den Versuch einer im
Klinikbett liegenden todkranken Greisin, den Triangel zu umfassen: unabhängig also vom jeweiligen Sujet – das allen Arbeiten zugrunde
liegende zentrale Motiv ist, die Erscheinungen der dinglichen Welt im
Bild zu fixieren, besser gesagt, mit aller zur Verfügung stehenden
Ausdruckskraft zu würdigen: als dasjenige, was uns vom ersten bis zum
letzten Augenblick unserer Existenz umgibt, das unser Fühlen, Denken,
Handeln – mit welchen Folgen auch immer –
prägt usw., auch – last not least – unsere Sehnsucht nach
Transzendenz entfacht und bindet.
Dieter Asmus, "Krankenzimmer", 1998/2001
So entstand hier aus den Eindrücken der Kriegs- und
Nachkriegszeit, aus Erfahrungen mithin, die
auch......vor der 1945 ausgerufenen „Stunde Null“ liegen,
ein Impuls, oder richtiger:
einer der Impulse zur Maler- und Bildhauerei à la ZEBRA, die man,
etwas pathetisch formuliert, als Apotheose des Gegenständlichen
bezeichnen könnte oder mit dem schönen Satz Konrad Fiedlers: als die
Aufk
Man darf sich, meine Damen und Herren, durch die
Fiedlersche Formulierung aus dem 19. Jahrhundert nicht irritieren
lassen. Was sie der Kunst als mögliche Leistung attestiert, aber auch
abverlangt, gilt nach wie vor als ihr A und
O. Und die ca.
12 000 Besucher in Kiel – dort lief diese Ausstellung bis zum 27. März –
signalisieren, daß derartige, auf konkreter Erfahrung fußende
Sinnvermittlung gegenwärtig, wo Medien-Realität mehr und mehr unser
Bewußtsein zu besetzen droht, nicht nur aus Gründen bürgerlicher
Widersetzlichkeit stärker gefragt ist, als es das Kunst-Establishment
wahrhaben will. Passend dazu der Eintrag eines Besuchers im Gästebuch
der Kieler Stadtgalerie am Eröffnungsabend: „Hier wird ja richtige Kunst
gezeigt. Wer hat das erlaubt?“ Vielleicht sind es vor allem die bildnerischen Ausprägungen zweier im Verbund wirkender Vermögen, die den Arbeiten der ZEBRA-Künstler einen besonderen Status verleihen: die Fähigkeit einmal – zu präziser Empfindung realer Gegebenheiten und, zweitens: ein extrem stark entwickeltes Formbewußtsein. Neben Bildern von Gerhard Richter, Sigmar Polke oder Luc Tuymans etwa, in denen die dargestellten Dinge – weshalb auch immer – als fragmentarische, unscharfe, verwischte Erscheinungen sichtbar werden, wirken ihre Motive fest konturiert und plastisch kompakt, als seien vielfache Ding- und Situationserfahrungen in jeweils einem Gegenstand, in einer Situation verdichtet. Durch tagtäglichen Konsum an die „Leitwährung Foto“, an schnelle, flüchtige Bild-Informationen gewöhnt, empfindet man ihre „in Form“ gebrachten, klar fixierten Dinge als animierend befremdlich: bereitgestellt für eine neue Begegnung.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, um noch einmal auf
den Anfang meiner Rede
und den Titel „ZEBRA &
NUTELLA“ zurückzukommen, möchte ich einen Satz
aus Sartres „Das Sein und das Nichts“ zitieren. Er lautet: „Erkennen
heißt, mit den Augen essen.“ –
In
diesem Sinne wünsche ich Ihnen guten Appetit!
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