ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Ben Katchor: Der Jude von New York
     
Jude von New York
 
"Die Indiander gehören zu den 10 verlorerenen Stämmen Israels"

Der Italiener ist Macho und mammahörig, der Deutsche kuscht oder kommandiert: Niemandem sind bislang diese Schablonen leibhaftig begegnet, doch fast jeder nutzt sie – hoffentlich in Anführungszeichen – als Spielfiguren grenzüberschreitender Kommunikation, wobei ihnen gelegentlich, was die „Steinbrück-Schweiz“-Debatte zeigte, ihr Spielfiguren-Status abhanden kommt.

Wie aber ist der Jude? Die Verschiebung der Frage in diese Richtung löst eine gewisse Beklemmung aus, die sich allerdings verflüchtigt, sobald man realisiert, daß hier ein jüdischer Künstler am Werk ist. Der 1951 in Brooklyn geborene Ben Katchor – in seinem Elternhaus wurde noch jiddisch gesprochen – modifiziert die Frage und vermittelt seine Antwort über eine poetische Dokumentation, schrittweise entfaltet im Zusammenspiel von gesicherten Fakten und Imaginationen. Eines jedoch wird bereits nach den ersten Panels des 112-seitigen Comics deutlich: „Der Jude von New York“ ist Fiktion, eine, wie sich später zeigt, judenfeindliche Fiktion im Gewand einer „hebräischen  Komödie“, die –  und mit entsprechenden Informationen beginnt Katchors Comic – während der Spielzeit 1830/31 in New Yorks „New World Theater“ über die Bühne gehen soll.

Als Verfasser zeichnet ein gewisser Solidus, Professor und antisemitischer Pamphletist, der aus pekuniären Gründen nichts mehr fürchtet als die Assimilation der Juden. Er nimmt eine kurze Episode der amerikanischen Geschichte (1825) ins Visier, das gescheiterte Vorhaben nämlich des Zionisten Major Mordecai Manuel Noah, auf einer Insel im Niagara-River ein „Neues Jerusalem“ namens „Arrarat“ zu etablieren. Abweichend vom historischen Geschehen agiert auf der Bühne „Major Ham“ (nach Genesis 9, 24 ist Ham Noahs jüngster Sohn) als „Arrarat“-Visionär. Ausgestattet mit Hakennase und einem überdimensionalen „Ghetto-Buckel“, zudem assoziativ verknüpft („Ham Actor“) mit der Vokabel „Schmierenkomödiant“, soll er das Publikum mit den gängigen Stereotypen versorgen. Passiert aber nicht, denn bei dem Versuch, den Zuschauern als zusätzlichen Service ein olfaktorisches Klischee anzubieten – im Keller wird über einer Feuerstelle „Ghetto-Aroma“ fabriziert und per Rohrleitung dem Zuschauerraum zugeführt – geht das Theater in Flammen auf.

Auch das mehrfach ins Blickfeld tretende Feldforschungsvorhaben – gefördert vom Berliner „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“ – über die kulturellen Eigenheiten der New Yorker Juden erweist sich als eine höchst windige Angelegenheit. Katchors Gelehrter namens Vervel Kunzo trägt einen Gummianzug, nimmt also seine Ermittlungen im Zustand der Ganzkörper-Isolierung vor und seine primär durch Lektüre gewonnenen Einsichten erweisen sich als Binsenweisheiten – feinerer Provenienz.

Rettung der "Manhood": Aufmarsch der Anti-Masturbation League

Der Jude kurzum wird nicht greifbar, in der geplanten Inszenierung ebenso wenig wie durch Kunzos kulturwissenschaftliche Studien. Aber im Vor- und Umfeld dieser scheinbaren Hauptereignisse läßt Katchor eine Reihe höchst individueller, oft ambivalenter Charaktere Revue passieren: verwickelt in zwielichtige Geschäfte, im Sog religiöser Utopien, vorgestellt als Repräsentanten grandioser und grandios-bekloppter Ideen, oder irre geworden, weil sie die Usancen und Widersprüchlichkeiten des beginnenden Kapitalismus überforderten.

Koschere und nicht koschere Rinderzungen in einem Faß!

 


Da gibt es u.a. Nathan Kishon, der sich als jüdischer Schlachter, indem er koschere und nicht koschere Rinderzungen im gleichen Faß einlagert, der „arglistigen Täuschung und fahrlässigen Ausführung einer rituellen Pflicht“ schuldig macht. Oder Herschel Goulbat: Er profitiert von einer im 1. Drittel des 19.Jahrhunderts virulenten Vorstellung, der zufolge Indianer – die Fransen Ihrer Montur entsprechen, das ist ein Argument, den weißen Schaufäden an jüdischer Kleidung! – zu den 10 verlorenen Stämmen Israels gehören müssen, und läßt einen hebräisch sprechenden „Wilden“ am Broadway Psalmen rezitieren. Enoch Letushim, in orientalischer Gewandung, hausiert mit Original-Erde aus dem Gelobten Land. Yosl Feinbroyt, Kabbalist, dient Gott „mit freudigem Herzen“, indem er die beim Essen und Verdauen entstehenden Geräusche in onomatopoetische Vokabeln transkribiert.

Francis Oriole: Erie-See als Sodawasser-Reservoir

Francis Oriole sucht Geldgeber für seinen Plan, den Erie-See in ein Sodawasser-Reservoir zu verwandeln, um von dort aus über Leitungssysteme die Haushalte New Yorks mit Sprudel zu versorgen. Eine bemerkenswerte Figur auch der getaufte Jude Maurice Cougar, alias Moishe Ketzelbourd: Nachdem er als Trapper jahrelang Biber gejagt hat, nimmt er Habitus und Lebensweise dieser Tiere an und landet schließlich, unter höchst kuriosen Umständen, als ausgestopfte Kreatur in „Hiram´s Museum“ am Broadway.

 Der Kabbalist Yosl Feinbroyt bei seinem "Gottesdienst"

Verblüffend ist, was darüber hinaus mittels diverser, an die Story gebundener Kurzexkurse an kulturhistorischen Informationen (etwa über die Bedeutung fleischfarbener Seidenstrumpfhosen für das jüdische Theater) auftaucht; wie durch Katchors Schilderung gesellschaftliche Vorgänge (der Verkauf von Pillen aus Bibergeilextrakt, die Anti-Onanie-Bewegung etc.) zum Spiegel heutiger Ereignisse werden. Als geradezu sensationell aber empfinde ich die Art und Weise, wie er – vor dem Hintergrund einer religiös fundierten Vernachlässigung des Bildes in der jüdischen Kultur – hier zu Darstellungsformen kommt, in denen visuelle und verbale Sprache gleichermaßen stark beteiligt sind. Er verzichtet auf optische Opulenz, nicht aber auf Präzision. Zwar wirken die Zeichnungen – ein Element seiner ästhetischen Strategie – skizzenhaft, unpathetisch, aber was seine Figuren via Haltung, Gestik, Mimik zum Ausdruck bringen, führt zu einer deutlichen Vorstellung der jeweiligen Charaktere. Bei aller Komik, die in nahezu jeder Situation zutage tritt: die Personen bleiben intakt und ernsthaft bei ihrer Sache. Sprachliche Exaltatationen läßt er zu, aber sie werden durch eingebaute Fehler oder Banalitäten des Dialog-Partners sofort gekontert. Gestische Übertreibungen korrigiert das Ambiente. Insgesamt vermittelt Katchors „Graphic Novel“ den Eindruck, als könne der Autor auf einen während der Kindheit angesammeltem Fundus  emotionsgeladener innerer Bilder zurückgreifen, denen noch das Fluidum der Lebensgewohnheiten von ehedem anhaftet. Unter deren Einfluß werden die recherchierten Fakten zu Bausteinen eines poetischen, aber keinesfalls nostalgischen Porträts: nicht des Juden, sondern der Juden von New York des Jahres 1830. – Buch des Monats! Comic des Jahres?

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Erschienen in Konkret 7/2009

 

     
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