ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Abschaffung der Documenta?
     
documenta-Stadt Kassel        
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„Kunst“, so Odo Marquard, „ist Zuflucht der Theorie“! Geworden – könnte man anfügen – und die documenta ist an dieser Entwicklung intensivst beteiligt. Keine andere in Sachen Kunst tätige Institution hat Wissenschaftlern und Gelehrten derartige, bis hin zur Übergabe der Richtlinien- und Deutungskompetenz reichende Entfaltungsmöglichkeiten geboten: Wie die documenta X (der Begriff „kopflastig“ wurde zum Synonym der 97er-Ausstellung) und Enwezors Event (Cathérine Davids Theoriefreudigkeit mutierte zur Theoriefixierung ) sollen gedankliche Konstrukte auch die kommende documenta  korsettieren, was ihr Leiter Roger M. Buergel ausdrücklich zusichert. Am Anfang einer Ausstellung – da folgt er seinem Vorgänger – steht für ihn die Theorie.

Mit fataler, ja, letaler Wirkung. Stärker nämlich als je zuvor orientiert sich die im Feld und Umfeld der Kunst virulente Theorie an den im Diskurs zirkulierenden Problemstellungen. Mit der Konsequenz, daß nur solche Maler, Bildhauer, Fotografen etc. ins Blickfeld der Ausstellungsmacher geraten, deren Arbeiten inhaltlich – und zwar mit Händen greifbar offensichtlich – der theoretischen Vorgabe entsprechen. Für Kunst, die sich entschieden außerhalb verbalbegrifflicher Konzeptionen bewegt und natürlich auch die gängigen Accessoires, also Einbeziehen der Örtlichkeit, Aktivierung

 

 

des Publikums oder – Tradition seit 40 Jahren – das Hinterfragen des jeweiligen Mediums nicht liefert, findet die documenta keinen Platz. Was in der Kernzone der Kunst passiert, die fortlaufend zu leistende unregulierte, autonome, von „inneren Bildern“ ausgehende Neuinterpretation der Welt, deren Visualisierung euphorisieren und trösten kann, unsere Sehnsucht nach Transzendenz entfacht und bindet: das kurzum, was Schopenhauer mit Blick auf die Kunst „Quietiv des Lebens“ nannte, ist für die Kasseler „100 Tage“ nicht mehr relevant.

Während die Naturwissenschaften die Innovationskraft individueller Bildvorstellungen neu entdecken, verharrt die documenta bei aller Globalität in Orthodoxie, setzt wie gehabt auf kulturwissenschaftliches Design, auf  Problematisierungs- und Aufarbeitungskommunikation. Das aber bieten neben peripheren Ausstellungsorten mittlerweile längst auch Museen, Kunstvereine, internationale Bi- und Triennalen. Selbst Roger M. Buergel muß konstatieren, „daß es inzwischen kaum eine Kunstmesse gibt, die sich nicht mit einem Diskursprogramm schmückt.“ Wozu also noch eine documenta? 

 

Kunstzeitung 05/2006   (Pro & Contra: Sollte die Documenta abgeshafft werden?)

 

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