ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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D12: Eine pädagogische Maßnahme | ||
Roger M: Buergel & Ruth Noack: Flopped? Opus 42: "....glaub´ ich blind zu sein..." Roger M. Buergel: "Ja, ich bin Romantiker." (Sanja Iveković, "Mohnfeld" vor dem Fridericianum) Migration der Form - Mondrians Auswanderung nach Südamerika: Juan Davila, "The Liberator Simon Bovilar", 1994 Ai Weiwei, "Template", 2007 (nach dem Zusammenbruch) Peter Friedel, "The Zoo Story", 2007 Paul Klee, "Angelus Novus", 1920: Nur als Reproduktion zu besichtigen! Ines Doujak, "Siegesgärten", 2007 Pablo Picasso, "Frau Patri", Biaritz 1918 |
Noch zwei Monate waren es bis zum Start in die 100
Tage, da avisierte „Die Zeit“ bereits eine „Revolte in Kassel“ und noch
im Juni, drei Tage vor Beginn des Spektakels, erwarteten manche – so
eine Feuilleton-Redakteurin der „Welt“ – von Roger M. Buergel
„eine Erneuerung der Documenta-Idee“. Es gehe um die Befreiung
aus der Gefangenschaft des Marktes, die Schönheit werde dominieren und
ästhetische Erfahrung wieder möglich. Der White Cube sei out, angesagt
dagegen Sinnlichkeit und eine neue „Ethik des Miteinanders“ usw. usf.
Mittlerweile hat sich das verbale Getöse gelegt. Bereits Ende Juli
registrierte der „Informationsdienst KUNST“ Katerstimmung unter
Insidern. Und inzwischen, einen Monat vor Schluß dieser weltweit
bedeutendsten Exposition zeitgenössischer Kunst, sind alle Zweifel
ausgeräumt: Die 12. Documenta ist ein Flop. In der Diktion Martin Büssers (Konkret 8/07):
„Weniger Relevanz und weniger Qualität hat es in Kassel wohl noch nie
gegeben.“ Stimmt, und dennoch sollte man den Casus nicht sofort zu den
Akten legen. Beim nochmaligen Durchblättern der Artikel, Statements,
Interviews ist dann doch festzustellen, daß sich einige der Buergelschen
Positionen, auch wenn ihre Umsetzung hier definitiv in die Hose gegangen
ist, so ohne weiteres nicht abservieren lasen, ja möglicherweise ihre
Zukunft noch vor sich haben: in modifizierter Form vermutlich und
eingebunden dann hoffentlich in weniger bildungsbeflissene, weniger
diskurshörige, radikalere Ausstellungs-Konzepte. Nun hat Buergel vor allem im Vorfeld der Schau eine
Fülle verblüffender, teils obskurer Sentenzen zur Verfügung gestellt,
deren Zuordnung und Einschätzung nicht immer ganz einfach ist. Seine
Äußerung im „Spiegel“ etwa, er halte Optik für eine völlig überschätzte
Kategorie, ein Satz, der einem sofort einfällt, wenn man die ersten
Minuten seines AudioGuides, nämlich Robert Schumanns „Seit ich ihn
gesehen, glaub´ ich blind zu sein;“ (Op.42) anhört: Ernstzunehmen oder
abzulegen unter der Rubrik „Ironie Wiener Provenienz“, die Buergel ja
ausdrücklich für sich reklamiert? Ein zeitgenössischer Klassiker auch
dieses Bekenntnis: „Für mich spielt die Frage, ob etwas Kunst ist oder
nicht, keine Rolle“: Grußadresse an argusäugige Kuratoren zwecks
Ruhigstellung derselben? Und was liefern Kurzaphorismen wie „Wir
vertrauen der Kunst“ – „Ich mache nie das, was ich kann“ – „Ja, ich bin
Romantiker“? Spielmaterial für Homestorys, über die
man jene von Buergel als solche qualifizierten bildungsfernen
Schichten erreicht? Was bei derlei Auflistungs- und
Interpretationsbemühungen an höchst heterogenen, ja widersprüchlichen
Verlautbarungen zum Vorschein kommt, ist – so scheint es – kaum unter
einen Hut zu bringen. Bei anderer Beleuchtung indessen ergibt sich ein
überraschend schlüssiges Bild, lesbar als Ausdruck einer arteigenen
Konfusion, einer Orientierungskrise, die sich bei allzu langem
Aufenthalt in einer von Entgrenzungen geprägten Kunstlandschaft
womöglich zwangsläufig einstellt. Die ganz offensichtlich auch Roger M.
Buergel befallen hat und im Kontext der Documenta, da er die Wegweiser
des Marktes in einem Anfall von ehrenhafter Bockigkeit negieren wollte,
besonders deutlich zu Tage tritt. Vor diesem Hintergrund wirkt die Fixierung auf die
Formfrage, für Fans, zweifellos, noch immer das A & O der Kunst, wirkt
sein durchaus mutiges Unterfangen, die registrierte Formkrise ins
Zentrum der Documenta zu rücken, wie ein Versuch, für sich (und den
Kunstbetrieb) wieder festen Boden unter die Füße zu kriegen. Seinen
Vorschlag, diesen Prozeß über die Thematik
„Migration der Form“ in Gang zu setzen, sieht er auch als
Experiment: „Wir möchten herausfinden, ob dieser Weg tatsächlich gangbar
ist.“ Er ist nicht gangbar! Denn er führt in Bereiche,
die für die ontologische Brisanz der Sache nahezu irrelevant sind. Zu
wissen nämlich, daß sich Formen permanent auf Wanderschaft befinden,
bringt nichts in der konkreten Situation: angesichts von Installationen,
Bildern, Plastiken. Wäre der Impuls, dem Kulturgut „Form“ via Documenta
eine Revitalisierungs-Kur zu verpassen, von autonom arbeiteten Künstlern
ausgegangen, von Leuten also, die das Phänomen in ihrer begrifflich kaum
faßbaren Vielschichtigkeit von innen wie von außen, mithin auch aus der
Perspektive des Rezipienten kennen, hätte der Parcours sicherlich anders
ausgehen. Es stand ja – übernommnen vom englischen Kunsthistoriker T. J.
Clark („Modernism is our antiquity“) und zum Leitmotiv Nr. 1 deklariert
– die Moderne als unsere Antike für einen Rückgriff zur Verfügung. Aber
die Idee, etwa Picasso zu konsultieren, der wie kein anderer Künstler
der klassischen Moderne die Formensprache durchdekliniert und mit neuer
Ausdruckskraft versorgt hat, lag nicht im Blickfeld der beteiligten
Kuratoren. Verstellt ganz offensichtlich durch die derzeit
noch immer heiligste Kuh der Kunst- und Kulturwissenschaft, die
inzwischen allgegenwärtige und zum Axiom hochstilisierte „Referenz“.
Doch der somit genehmigte Einfall, über einen Verweis auf Kunst werde
eine x-beliebige Kreation zum Kunstwerk, unterschlägt die formale
Dimension und damit mindestens 50% dessen, was das Ereignis „Kunst“
ausmacht. Zwar konstatiert Buergel, „daß es allgemein einen kompletten
Analphabetismus gibt, was ästhetische Formen betrifft“, daß die Leute
nicht zu den Inhalten vordringen, „weil sie nicht auf die Form-Ebene
gelangen.“ Er nutzt – bis hin zur Beantwortung des FAZ-Fragebogens, in
dem er „Die gelungene Form“ als seinen Traum vom Glück bezeichnet – jede
Möglichkeit, Aufmerksamkeit für diese Thematik zu erwirken. Im
entscheidenden Moment aber, im Zuge der Ausstellungs-Inszenierung,
schieben sich das Verweisen, der Zwang zur begründeten Zusammenstellung
in den Vordergrund: „Und da kann es dann sogar passieren, daß wir
Kunstwerke nicht unterbringen, die uns eigentlich ungeheuer wichtig
sind“ (Ruth Noack, Kuratorin der Documenta). Muß ziemlich oft passiert sein, denn die Auswahl der Exponate richtet sich – das fällt sofort ins Auge – nicht nach künstlerischer Qualität. Entscheidend ist nicht die Ausdruckskraft der Form, sondern ob und mit welcher Deutlichkeit ein formales Element – die Linie etwa oder eine bestimmte Textur – jeweils wiederzuerkennen ist. Und so zeigt sich genau das, was Buergel auf keinen Fall wollte: Kunst als Illustrationsmaterial, eingesetzt hier, um „Die Migration der Form“ zu veranschaulichen. Zudem stellt sich die Frage, ob der Begriff „Migration“, der nun schon seit Jahren visuell kommuniziert wird und dabei selten die Ebene optischen Schwadronierens verlassen hat, unbedingt auch noch auf der Documenta verwurstet werden mußte. War das nötig, weil Buergel als Kurator das Phänomen „Form“ gar nicht anders (als kunstwissenschaftlich) denken und nur aus dem Diskurs heraus auf die Bühne der Documenta schieben konnte? Dieses offenbar von den Ethnologen Carl Schuster und Edmund Carpenter („Patterns that Connect“, New York, 1996) inspirierte Segment der Ausstellung ist sein Lösungsvorschlag („Was tun?“) auf die im 2. Leitmotiv („Was ist das bloße Leben?“) angesprochene Gefährdung menschlicher Existenz im Zeichen der Globalisierung. Buergels diesbezügliches Statement zu Chancen und Risiken heutigen Lebensvollzugs greift Vorstellungen Giorgio Agambens auf, was niemanden verwundert, denn der italienische Philosoph gilt gegenwärtig als absolute Top-Referenz der Szene. Darüber hinaus bedient er sich – und das ist schon überraschend – aus dem gleichen Fundus, den auch die Autoren eines Strategie-Papiers anzapfen, das 2006, im Vorfeld des Unesco-Kongresses „arts in education“ verfaßt wurde und soziale Fragmentierung, die global dominante Kultur des Wettbewerbs sowie soziale und ökologische Gewalt als die signifikanten Merkmale der aktuellen Situation bezeichnet. Daß Kunsterzieher diesem Notstand mit einer Forcierung ihres Unterrichts begegnen wollen, liegt auf der Hand. Kindergärten, Schulen, museumspädagogische Einrichtungen sind genuine Orte, wo Kreativität in Verbindung mit ästhetischer Erfahrung gelernt und Bildung in Sachen Kunst vermittelt werden kann. Aber die Documenta als pädagogische Maßnahme? Dabei könnte man auch das verkraften, ja begrüßen und mit der Vokabel „avanciert“ belegen, würden Buergel und Co. wenigstens die Grundaspekte des zu verklickernden Sachverhalts kennen. Von „Wiederentdeckung der ästhetischen Erfahrung“, vom „ ästhetischen Erlebnis“ ist die Rede, was aber verabreicht wird, ist bestenfalls kulturwissenschaftliche Bildung, (und um die zu erwerben, reicht es dann auch, Paul Klees Angelus Novus im Schloß Wilhelmshöhe als Reproduktion zu besichtigen!)
Unsereins wiederum denkt, auch auf der Documenta
sollten Momente möglich sein, die z.B. „Frau Patri" (Bleistift auf
Papier, 1918) dem
Publikum bescheren kann: Evoziert durch Picassos suggestive
Formulierung, bildet sich im Zuge der Wahrnehmung ein Gespür für diese
Person; entfaltet sich im Körper wie die Wirkung eines mit Cognac
angereicherten espresso doppio, den man morgens auf nüchternen Magen
trinkt. Man fühlt – jede gute Form aktiviert die Spiegelneuronen – die
„Frau Patri“ leibhaftig, sie „nervt“ quasi inwendig: eine spezifische
Weise, Welt (hier vertreten durch Picassos Protagonistin)
kennenzulernen; ein Erkenntnisprozeß, der tatsächlich die erwähnte
Hochstimmung auslösen kann, bei anderen Motiven allerdings auch
hochgradigen Ekel usw. Zurück zur Formfrage: Daß sie laut Kandinsky jeder
nicht nachempfindende Künstler individuell lösen muß, weiß man seit 95
Jahren. Daß auch Kuratoren diese Frage endlich – immerhin hat die
Kasseler Ausstellung einen ersten Anstoß gegeben – auf die Tagesordnung
setzen sollten, signalisiert, ja erfleht die 12. Documenta. Ob die
längst überfällige Debatte schließlich ein Klima ausbilden wird, in dem
– angekündigt bereits für die 100 Tage – „Kunst wieder Kunst sein darf“,
ist zu hoffen. Klappen allerdings kann es nur, wenn sich die Szene vom
„Theorie-Karaoke“ (Pierangelo Masset) verabschiedet, wenn – utopischer
Gedanke – Kuratoren als Deutungshoheiten einen Schritt zurücktreten, das
schon längst überreizte Referenzeln ad acta legen und dem
Ausdruckspotential der Form wieder etwas mehr Reverenz erweisen.
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