ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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D13: Maybe-Festspiele in
Kassel |
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Leiterin der dOCUMENTA(13): Carolyn Christov-Bakargiev |
Giuseppe Penone, "Idee di Pietra", 2010 |
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Bereits vor
2 Jahren – für den zeremoniellen Akt hatte man ausdrücklich den Tag der
Sommersonnenwende gewählt – wurde als erstes Kunstwerk der dOCUMENTA
(13) Guiseppe Penones Skulptur „Ansichten eines Steins“ in der Kasseler
Karlsaue eingeweiht. 9 Meter hoch und begleitet von einer frisch
implantierten Ilex-Stechpalme, sollte der Bronze-Abguss eines gestutzten
Baumes plus Findling in der Krone Wahrzeichen und Wegweiser fürs
Publikum sein. Und der Künstler deklamierte: „Wenn die Bedeutung des
Malens das Bedecken ist und die Bedeutung der Skulptur das
Entdecken, dann wird die Malerei durch die Schwerkraft
charakterisiert und die Skulptur durch die Kraft, die der Schwerkraft
entflieht, die Kraft des Lichts.“ Ob der hochstehenden Mittagssonne geschuldet oder
dem Hang zu poetischer Ergänzung seiner „Arte Povera“ („Arme Kunst“),
auf jeden Fall machte Penones manifestartiger Sprachduktus in Verbindung
mit der befremdlichen Position des Granitbrockens im Geäst –
Lautréamonts „zufällige Begegnung eines Regenschirmes mit einer
Nähmaschine auf dem Seziertisch“ lässt grüßen – schon mal deutlich:
Surrealistisches würde während der 100-Tage-Ausstellung wohl des Öfteren
auftauchen. Eine weitere Perspektive ergab sich aus der ambivalenten Werkbezeichnung. Dass dem Titelhelden der Plastik Ansichten zugesprochen wurden und damit auch anderen Steinen, deren Präsentation man im Vorfeld der Schau avisert hatte, war ein unmissverständliches Signal: Auf pingelige Grenzziehungen zwischen Kunst und Esoterik wollte man hier offensichtlich verzichten, wobei Carolyn Christov-Bakargiev (CCB), Leiterin der d(13), derartige Ausstellungsobjekte wohl nicht unter Esoterik verbuchen, sondern der von ihr kreierten „Vielleicht-Zone“ („vielleicht Kunst, vielleicht Wissenschaft“) zuordnen würde: eine Formulierung, die ihr den Ehrentitel „Lady Maybe“ einbrachte.
Baktrische Prinzessin (2.Jahrtausend v. Chr.) Lady Maybe also: „Was fühlt ein Kunstwerk, das
als Leihgabe innerhalb einer Ausstellung gezeigt wird, in der es sich
nicht wohlfühlt?“ rätselte sie während ihrer Promotion-Tour durch
deutsche Kunsthochschulen. Bezogen auf das Vorhaben von Guillermo
Faivovich & Nicolas Goldberg, die einen 37 Tonnen schweren Meteoriten
vom Campo del Cielo (Argentinien) zur Documenta verfrachten wollten,
konnte man also bereits vor Beginn der Schau darüber spekulieren, was
wohl „El Tacho“ während seiner Anwesenheit im Hessischen empfinden
würde. Eine Art Frohsinn in
der irrtümlichen Ansicht, mitten in die Feierlichkeiten zum 200.
Geburtstag von Grimms Märchen geraten zu sein? Oder so was wie
Heidenangst? Immerhin war in den 60er Jahren sein Kumpel „El Taco“ im
Mainzer Max-Planck-Institut zersägt worden! Nicht uninteressant
schließlich die Frage, wie man die angesprochenen Emotionen würde
registrieren können. Als erhöhte Temperatur? Als Tumult im
Quanten-Bereich? – Das
waren, leider, hinfällige Überlegungen, denn einige Querköpfe unter der
indigenen Bevölkerung votierten gegen die Auslagerung ihres Meteoriten.
Penones Bronze-Baum offerierte noch einen dritten Hinweis: Der Komplex „Kunst/Natur“ wird während der d (13) eine signifikante Rolle spielen. Aber was Christov-Bakargiev über Obst und Gemüse verlauten ließ, wirkt nicht gerade als Appetizer: Wer will schon Erdbeeren, denen „politische Intention“ innewohnt, zu Marmelade verarbeiten? Und die Tomaten? Sie seien, weil sie „in ihrer Haut unglaubliche und wundervolle unterschiedliche Rottöne bilden“, für sie Kunst: Hier droht die von CBB proklamierte De-Anthropozentrierung der Kasseler Weltkunstausstellung in „unglaubliche“ Wirrnis zu führen.
Unglaublicher Rottöne halber: Kunst Aus der anthropozentrischen Falle soll uns die Gattung Hund befreien. Ein Anfang ist bereits gemacht. CBB, Frauchen eines Maltesers namens Darsi, publizierte einen Kalender mit Hundefotos von Künstlern und Fragen aus dem Bereich der Hochleistungs-Philosophie wie dieser: „Welche Kenntnisse und Gefühle hat mein Hund, die ich meiner Erinnerung nach selbst nie gehabt habe?“ Wer wird für Antworten zur Verfügung stehen? Kann man mit Ziggy, dem malenden Pekinesen aus Kalifornien rechnen? Sollte etwa einer der Hunde, die Besucher auf den Rundgängen im Rahmen von „dTOURS“ (Führungen) begleiten werden, via Schwanzwedelei für Belehrung sorgen? (Achtung: Wedeln nach rechts gilt als positives Signal!) Oder würde man auf prädestinierte Moderatoren zurückgreifen, auf Maler und Bildhauer also, die zu Fauna und Flora schon immer besondere Beziehungen unterhielten?
Jean Paul, seinen Einfall notierend ? Vielleicht hätte man, anstatt der d (13) eine solche Frage aufzuhalsen,
der Anregung des Dichters und großen Hundefreundes Jean Paul (1763-1825)
folgen sollen. Die Umsetzung seiner Idee wäre als eine Art Vorleistung
für spätere Offenbarungen zu sehen und würde – wer erinnert sich nicht
gern an die zwei gutgefütterten Schweine auf der 97er-Documenta – noch
einige Busladungen mehr nach Kassel bringen: „Man sollte Hundebordelle
anlegen, zumal da der männliche Hund wie der Mensch immer Trieb fühlt.“
Ilex-Stechpalme: Prozeßorientiert
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Diesmal also der Feminismus als Kurator, und der, idealtypisch verkörpert durch Christov-Bakargiev, fühlt sich denn auch prompt durch einen Mann bedroht: durch Stefan Balkenhols Figur, die hoch oben unter dem Turmdach der Kirche St. Elisabeth am Friedrichsplatz – eine intuitive Stichelei des Bistums Fulda –auf einer goldenen Kugel balanciert!
Stichelei des Bistums Fulda: Stephan
Balkenhol, "Mann im Turm" Während „El Tacho“ nur, wie sich während der
Eröffnungs-Pressekonferenz zeigte, als Diskussionsthema präsent ist,
konnten die geplanten Floral-Installationen allesamt realisiert werden,
was bei Obst-, Gemüse- und Blumenliebhabern eitel Freude auslösen
dürfte. Mental etwas runtergestimmt, da in 2012 weder IGA noch BUGA
stattfinden und auch keine hessische Landesgartenschau, kommen sie nun
in Kassel doch noch zu ihrem Sommer-Event! Okay, in den eigens
aufgestellten Holzhäuschen gibt es nicht wie sonst Kunstgewerbliches für
Haus und Garten zu kaufen, aber dafür dürfen sie das Credo der
Maybe-Festspiele mit nach Hause tragen: Sie, die
dOCUMENTA (13) teile und respektiere die Formen und Praktiken des
Wissens aller belebten und unbelebten Produzenten der Welt, Menschen
inbegriffen! Als Belege fungieren „The Lover“, Kristina Buchs
Biotop mit Brennnesseln und Disteln etc., das für Tagfalter hergerichtet
wurde, Christian Philipp Müllers „Schweizer
Mangoldfähre“ mit 60 verschiedenen Sorten, Pierre Huyghes
begrünte Kompostanlage mit bewusstseinserweiternden Pflanzen, Maria
Lobodas „Angriff der
Zypressen“, eine mobile,
aus16 Bäumchen in rotdrapierten Kübeln bestehende Skulptur, die während
der Ausstellung auf die
Orangerie zu bewegt werden soll oder Brian Jungens „Dog Run“, ein
Skulpturenpark für Hunde, der mich an meine Tante Elsbeth selig
erinnert, die ihrem Boxer Bodo allweihnachtlich einen kleinen Tannenbaum
mit Wiener Würstchen ins Wohnzimmer stellte.
Und das sogenannte Kunsterlebnis, das in ähnlicher Weise jenen „Gewissheitsmoment“ generiert, in dem man – weil von der Sache ergriffen – nichts mehr begreifen muss? Fehlanzeige gleichermaßen und fatal insofern, als dieses Informationssystem ja durchaus Algorithmen entwickelt hat, über Bewusstseinsmomente partieller Identität mit Mangold oder Hunden Zustände dieser „belebten und unbelebten Produzenten der Welt“ zu fassen und (als repräsentatives Symbol) auszudrücken. Ein Blick auf George Stubbs „Zebra“ (1763), Pablo Picassos „Ziege“ (1946) oder Heiner Altmeppens „Menhir“ (1984): Es funktioniert! Zwar sind einige Skulpturen zu sehen, die trotz ihrer Kompatibilität mit Christov-Bakargievs „neuem Denken“ eine genuin künstlerische Qualität aufweisen. Die „Baktrischen Prinzessinnen“ z.B., 4000 Jahre alte Statuetten aus Zentralasien, die in ihrem Schaukasten ein magisches Fluidum entstehen lassen, Maria Martins (1894 -1973) Momentaufnahme einer Metamorphose zwischen Mensch und Tier („Das Unmögliche“) oder Adrian Villar Rojas´ Monumentalplastik „Ferkel-Amme“, die, gerade fertig geworden, schon wieder in ihr organisches Substrat zerfällt. Bilder hingegen dienen hier – exemplarisch: die Feierabendkreationen des Computer-Erfinders Konrad Zuse – primär der Veranschaulichung eines Konzepts. Maler und Zeichner wie Vija Celmins, Dove Allouche oder Fritz Koch, die formbewusst auf Resonanzen reagieren, die ihnen konkrete Phänomene wie ein Rhinozeros, verbrannter Wald oder Kürbis und Runkelrüben bescheren, sucht man vergeblich. Eine Verengung im Zeichen der
Kunstbegriffserweiterung? Die nächste Stufe der von Adorno entdeckten
„Entkunstung der Kunst“?
Ryan Gander, "Breeze" im Erdgeschoß Im Erdgeschoß des Fridericianums, unmittelbar neben
dem Eingang rechts, beginnt der Parcours. Ein langgestreckter Raum, zu
sehen ist nichts. Die weißen Wände sind leer, nichts
auf dem Fußboden, weder Anpflanzung noch Artefakt. Typisch
Eröffnungstag – man ist nicht fertig geworden! Oder geht es um Kunst im
Nanobereich? Maybe. Vielleicht hat der beteiligte Quanten-Physiker Anton
Zeilinger die Finger im Spiel? Im Saal allerdings herrscht Zugluft.
Die Erklärung kommt von einer der
„Worldly Companions“, der
weltgewandten Begleiterinnen der d (13): Was
da wehe, sei „Breeze“, eine Arbeit des britischen Künstlers Ryan Gander.
Breeze
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