ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
 Index   Home  Rasender Stillstand  Art goes science   Impressum    Links
 
  Art goes science
 
Courbet die Steinklopfer  

E=mc²
     
Gustave Courbet, "Die Steinklopfer", 1824   Albert Einstein, "Berühmteste Formel der Welt",1905
     

Daß Kunst und Wissenschaft nur schwerlich unter einen Hut zu bringen sind, gehört zur Geschichte diesbezüglicher Bemühungen seit 200 Jahren. Und bereits Kleist notiert im Hinblick auf mögliche Ursachen, „man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen; erstens in solche, die sich auf eine Metapher, und zweitens in solche, die sich auf eine Formel verstehen“: eine Feststellung, die in modifizierter Form –  albernste Invektiven wie etwa Mommsens Titulierung seiner Chemiker-Kollegen als „Apotheker und Mistfahrer“ inbegriffen – bis heute Annäherungs- und Distanzierungsdebatten zwischen Geist- und Naturwissenschaftlern begleitet.

Theodor Mommsen 1902

Theodor Mommsen: "Apotheker und Mistfahrer" (Foto:1902)

1959, forciert durch die These des englischen Romanciers und Physikers C. P. Snow von den zwei Kulturen, verschärft sich die Auseinandersetzung. Sein provozierender Satz, Shakespeare gelesen zu haben, sei Kultur, den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu kennen, offenbar nicht, zieht eine Fülle von Repliken nach sich. Noch dreißig Jahre später, im Zuge einer hochkarätig besetzten Ringvorlesung an der Uni Konstanz, ist das folgende Lamento zu hören: „Es gibt zwar Romane, die sich im Hotel oder im Bordell abspielen, es gibt auch Romane, deren Handlungen durch Rechtsanwälte oder Buchhalter vorangetrieben werden, es gibt weiter Romane mit Hausfrauen, Waffenhändlern und vieles mehr. Nur Romane, die in einem Institut spielen oder bei denen Wissenschaftler im Mittelpunkt stehen, die sucht man nahezu vergebens.“

Ob hier noch der „Mythos von den zwei Kulturen“ wirksam ist oder die Fixierung auf kanonisierte Kunst das Blickfeld verengt, ist schwer zu sagen. Zu jenem Zeitpunkt jedenfalls hätte der Befund durchaus schon anders lauten können. Zwar stößt man erst später auf strukturelle Übereinstimmungen zwischen moderner Physik und Literatur (etwa von Broch, Carl Einstein, Musil) oder auf  die sog. Vorwegnahme modernster Ergebnisse der Hirnforschung durch Picassos kubistische Porträts. Doch abgesehen von landläufig bekannten Tatsachen, daß sich Futurismus und weitgehend auch abstrakte Kunst auf die durch Naturwissenschaftler evozierten Weltbild-Veränderungen berufen, daß ein Wort wie experimentell zum Leitbegriff und Gütesiegel in Kunst, Literatur und Musik avancierte und das Feuilleton mit Vokabeln wie Materialstruktur, Rastermodulation, Mikroartikulation etc. versorgte (Enzensberger, 1962), präsentiert gerade die Kunst- und Literaturproduktion der 80er Jahre überaus deutliche Versuche, den von Snow konstatierten Graben zwischen den zwei Kulturen zu überwinden.

In der Novelle Moos von Klaus Modick (1984) z.B. versucht ein Biologe den Brückenschlag von der „gnadenlosen Eindimensionalität des nutzenorientierten Beobachtens“ zur künstlerischen Sicht der Dinge. Del Giudices Roman Der Atlas des Westens (1987) führt einen Schriftsteller und Atomphysiker zusammen. Die abschließende Schilderung eines Feuerwerks - sie erinnert an das Wissenschaftstheater Peters des Großen, in dem, inszeniert von Pyrotechnikern, das kopernikanische Weltsystem am Himmel erscheint - vermittelt das poetische Bild einer augenbetörenden Erscheinung und diese zugleich als gedachte Spiegelung einer Teilchen-Kollision, bei der subatomare Partikel unter der Wucht des Zusammenpralls zerstieben. Zu nennen wäre Fritz Koch, dessen lupengenaue Zeichnungen im Blick auf einen Quadratmeter Monokultur ein verändertes, von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen infiltriertes Natur- und Landschaftserlebnis zum Ausdruck bringen: Man steht vor dem Bild eines Rübenackers und durch Art der Umsetzung ergeben sich Verbindungen zu Modellen, wie sie von Molekular-Biologen, von Atom-Physikern erstellt werden und zugleich meint man durch Superteleskope den „Tarantel“- oder „Krebsnebel“ zu erkennen. Oder Dieter Asmus: Sowohl thematisch („Vitaminbombe“, „Froschtest“, „Zuchtferkel“) als auch formal (Raum und Zeit u.a. als konstituierende Elemente seiner Bildsprache) zeigen sich Korrespondenzen zu naturwissenschaftlichen Vorstellungs- und Forschungsinhalten. Schließlich die Agrar- und Industrielandschaften Heiner Altmeppens, die mit extraterrestrischer Raumwirkung, Konturenschärfe, Farbbrillanz jene Klarheit und Leuchtkraft ins Bild bringen, von der Astronauten nach ihrer Rückkehr aus dem Orbit berichten.


Eduardo Kac, "Alba", 2000
Link zur Fotografie

Inzwischen sind derartige an Naturwissenschaftler adressierte Trostworte nicht mehr erforderlich. Nachdem Eduardo Kac vor 3 Jahren seine transgene Kreation Alba, ein grün schimmerndes Kaninchen als lebendes Artefakt vorgestellt hat, entlassen nicht nur Biotechniker ihre Chimären als Kunstwerke in die Medienwelt, um so die Akzeptanz für genetisch veränderte Organismen zu fördern, sondern zunehmend wollen auch Künstler ihr täglich Brot selber klonen.  

 

Klonen kommt in Mode, scheint in ähnlicher Weise zu reüssieren wie weiland das Experiment. Wer noch kein DNS-Opus programmieren kann, nutzt wenigstens das Avantgarde-Image bzw. Skandalpotential des Begriffs: Geklont werden Shakespeares Liebessonette, Picassos Stierkopf. Der Künstler A. Zet kombiniert Tachismus und Minimal Art und betitelt das Ergebnis Klonen 2. Das Bemalen eines Blattes mit identischen Figuren nennt Klaus Eichenberg Klonen....

Und natürlich geht es ums Klonen auch in der Ausstellung im Sprengel Museum: Gutes Morgen, Dr. Mad! heißt die von Weis und De Mattia aufgebaute Videoinstallation, in der ein aus Fragmenten diverser SF-Filme „gesampelter“ Wissenschaftler und sein keimfrei-androgyner Homunkulus ein endloses Gespräch um Alltag und Mythos der Wissenschaft führen. „Auch ein Stück Sciencefiction“ versprechen die Autoren. Von phantastischen Androiden allerdings, von Bio-Robotern, Mutanten, Architektur- und Maschinenentwürfen, um deretwillen man in SF-Filme rennt, keine Spur! Dafür eine bis ins letzte Detail durchdachte, in sich durchaus stimmige Darstellung: mit einem gezielt phrasenhaften Dialog allerdings, der kaum auszuhalten ist. Dem man sich entziehen sollte, sobald die verfremdende Wirkung der Kanak-Sprak-Anleihe im Titel nachläßt und statt dessen den instruktiven Interview-Text der beiden Künstler lesen.


Marc Weis/Martin De Mattia,"Guten Morgen, Dr. Mad!", 2002
Link zur Fotografie

Das wissenschaftliche Avantgarde-Thema Nano-Technik soll der Besucher über eine interaktive Installation von Sommerer & Mignonneau, ihrem Selbstverständnis nach Avantgarde-Künstler, kennen lernen, muß zuvor aber bestätigen, daß er weder Telefon- und Kreditkarten noch Handy und Herzschrittmacher mit sich führt. Nano-Scape heißt die unsichtbare Skulptur und besteht aus elektromagnetischen Feldern, die mittels Interface zu ertasten sind und sich im Zuge der Annäherung verändern (Force-Feedback-Technologie). Daß bei diesem durchaus unterhaltsamen Experiment tatsächlich Wissen über den Nano-Bereich „durch intuitive Erfahrung spürbar“ wird, ist allerdings zu bezweifeln. Denn mikrokosmische Vorgänge waren zunächst ja gerade deshalb so schwer zu verstehen, weil man sie mit „intuitiven Konzepten“ nicht erfassen konnte.


Christa Sommerer/Laurent Mignonneau, "Nano-Scape", 2002
Link zur Fotografie

Das Atelier van Lieshout - 2001 in den Medien wegen der Gründung des Freistaates AVL-Ville im Rotterdamer Hafen mit eigener Währung, Schnaps- und Waffenproduktion – präsentiert eine Arbeit zur „Dynamik und Adaptivität neuronaler Systeme“, zu Prozessen also, die u.a. bei der Kompensation von Gehirnschäden von Bedeutung sind. Hirnpavillon lautet der Titel der Installation, an deren Außenwänden die wissenschaftliche Perspektive visuell dokumentiert ist, während der Innenraum den subjektiven Empfindungen vorbehalten bleibt. Die zeigen sich über „Zeichnungen, weil diese schon eine Abbildung meiner Seele sind.“ Und was sein Porträtfoto nicht verrät: in Joep van Lieshouts Seele – der nackte Grüß-August am Eingang avisiert Ironie und bereitet den Besucher vor -  geht’s zu wie im Swinger-Club.

„Science + fiction“, heißt es im Katalog, „ist eine Ausstellung, die unser Bild der Wirklichkeit in Wissenschaft und Kunst zum Thema macht.“ Diese Formulierung allerdings, das wird  schon beim ersten Rundgang klar, ist reinster Etikettenschwindel. Ausdrücklich verkünden die Kuratoren Iglhaut und Spring, daß Kunst gewiß nicht zur Illustration wissenschaftlicher Lehrsätze herangezogen werden könne. Genau das aber passiert in der Schau. Gutes Morgen, Dr. Mad ausgenommen, denn da handelt es sich - tendenziell zumindest - um Kunst, sind sämtliche Arbeiten, auch der noch nicht erwähnte Expeditionsbus von Christoph Keller und das überdimensionale Kartenspiel Wild Cards von Dellbrügge & de Moll über Prognosen zum Wissen der Zukunft, als Info-Design anzusprechen. Durchaus instruktiv, überraschend, inspirierend (Wild Cards), im Prinzip jedoch identisch mit schul- und vorschulischer Wissensvermittlung.

Eine Begegnung zweier - im Sinne der von Nils Bohr formulierten Komplementärtheorie – unterschiedlicher, aber gleichermaßen richtiger bzw. wahrer Weltsichten, findet nicht statt. Es dominiert die wissenschaftliche Perspektive; von der Kunst ist nur deren Schrumpfstufe im Rennen und erbringt die gewünschte Dienstleistung: PUSH (Public Understanding of Science and Humanities) zu fördern, auf daß sich die „Asymetrien zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit abbauen.“ War mehr zu erwarten?

Kaum! Kunst, so Heisenberg, ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen dem Geist der Zeit und dem Künstler. Wie Kochs Rübenacker zeigt, bringt nicht das Motiv, sondern die Form den Zeitgeist ins Bild. Erst der spezifische Einsatz bestimmter Bildmittel führt zur assoziativen Vernetzung – hier: zwischen Rüben, Mikro- und Makrokosmos und damit zu einem Natur-Bild der Gegenwart. Während Kunst – kurz gesagt - die Totale anpeilt und ihre Wahrheit als Gestalt offeriert, ist Naturwissenschaft auf Teilgebiete fixiert und vermittelt Ergebnisse als Berechnungen: Zwei komplementär zueinander stehende Perspektiven auf die Welt. In der Kunst gibt es kein Äquivalent für E=mc². Desgleichen würde jeder Versuch scheitern, den semantischen Gehalt der Courbetschen Steinklopfer mit Darstellungsmöglichkeiten der Physik zu erfassen. Aber man kann Die Steinklopfer bewundern und im Kopf haben, daß es die Einsteinsche Formel gibt – und umgekehrt! 

Konkret 4/2003

 
HOME