ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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Art goes science |
E=mc² |
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Gustave Courbet, "Die Steinklopfer", 1824 | Albert Einstein, "Berühmteste Formel der Welt",1905 | |||||||
Daß Kunst und
Wissenschaft nur schwerlich unter einen Hut zu bringen sind, gehört zur
Geschichte diesbezüglicher Bemühungen seit 200 Jahren. Und bereits
Kleist notiert im Hinblick auf mögliche Ursachen, „man könnte die
Menschen in zwei Klassen abteilen; erstens in solche, die sich auf eine
Metapher, und zweitens in solche, die sich auf eine Formel verstehen“:
eine Feststellung, die in modifizierter Form –
albernste Invektiven wie etwa Mommsens Titulierung seiner
Chemiker-Kollegen als „Apotheker und Mistfahrer“ inbegriffen – bis heute
Annäherungs- und Distanzierungsdebatten zwischen Geist- und
Naturwissenschaftlern begleitet.
1959, forciert durch
die These des englischen Romanciers und Physikers C. P. Snow von den
zwei Kulturen, verschärft sich die Auseinandersetzung. Sein
provozierender Satz, Shakespeare gelesen zu haben, sei Kultur, den
zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu kennen, offenbar nicht, zieht
eine Fülle von Repliken nach sich. Noch dreißig Jahre später, im Zuge
einer hochkarätig besetzten Ringvorlesung an der Uni Konstanz, ist das
folgende Lamento zu hören: „Es gibt zwar Romane, die sich im Hotel oder
im Bordell abspielen, es gibt auch Romane, deren Handlungen durch
Rechtsanwälte oder Buchhalter vorangetrieben werden, es gibt weiter
Romane mit Hausfrauen, Waffenhändlern und vieles mehr. Nur Romane, die
in einem Institut spielen oder bei denen Wissenschaftler im Mittelpunkt
stehen, die sucht man nahezu vergebens.“ Ob hier noch der
„Mythos von den zwei Kulturen“ wirksam ist oder die Fixierung auf
kanonisierte Kunst das Blickfeld verengt, ist schwer zu sagen. Zu jenem
Zeitpunkt jedenfalls hätte der Befund durchaus schon anders lauten
können. Zwar stößt man erst später auf strukturelle Übereinstimmungen
zwischen moderner Physik und Literatur (etwa von Broch, Carl Einstein,
Musil) oder auf die sog.
Vorwegnahme modernster Ergebnisse der Hirnforschung durch Picassos
kubistische Porträts. Doch abgesehen von landläufig bekannten Tatsachen,
daß sich Futurismus und weitgehend auch abstrakte Kunst auf die durch
Naturwissenschaftler evozierten Weltbild-Veränderungen berufen, daß ein
Wort wie experimentell zum Leitbegriff und Gütesiegel in Kunst,
Literatur und Musik avancierte und das Feuilleton mit Vokabeln wie
Materialstruktur, Rastermodulation, Mikroartikulation etc. versorgte
(Enzensberger, 1962), präsentiert gerade die Kunst- und
Literaturproduktion der 80er Jahre überaus deutliche Versuche, den von
Snow konstatierten Graben zwischen den zwei Kulturen zu überwinden. In der Novelle
Moos von Klaus Modick (1984) z.B. versucht ein Biologe den
Brückenschlag von der „gnadenlosen Eindimensionalität des
nutzenorientierten Beobachtens“ zur künstlerischen Sicht der Dinge. Del
Giudices Roman Der Atlas des Westens (1987) führt einen
Schriftsteller und Atomphysiker zusammen. Die abschließende Schilderung
eines Feuerwerks - sie erinnert an das Wissenschaftstheater Peters des
Großen, in dem, inszeniert von Pyrotechnikern, das kopernikanische
Weltsystem am Himmel erscheint - vermittelt das poetische Bild
einer augenbetörenden Erscheinung und diese zugleich als gedachte
Spiegelung einer Teilchen-Kollision, bei der subatomare Partikel unter
der Wucht des Zusammenpralls zerstieben. Zu nennen wäre Fritz Koch,
dessen lupengenaue Zeichnungen im Blick auf einen Quadratmeter
Monokultur ein verändertes, von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
infiltriertes Natur- und Landschaftserlebnis zum Ausdruck bringen: Man
steht vor dem Bild eines Rübenackers und durch Art der Umsetzung ergeben
sich Verbindungen zu Modellen, wie sie von Molekular-Biologen, von
Atom-Physikern erstellt werden und zugleich meint man durch
Superteleskope den „Tarantel“- oder „Krebsnebel“ zu erkennen. Oder
Dieter Asmus: Sowohl thematisch („Vitaminbombe“, „Froschtest“,
„Zuchtferkel“) als auch formal (Raum und Zeit u.a. als konstituierende
Elemente seiner Bildsprache) zeigen sich Korrespondenzen zu
naturwissenschaftlichen Vorstellungs- und Forschungsinhalten.
Schließlich die Agrar- und Industrielandschaften Heiner Altmeppens, die
mit extraterrestrischer Raumwirkung, Konturenschärfe, Farbbrillanz jene
Klarheit und Leuchtkraft ins Bild bringen, von der Astronauten nach
ihrer Rückkehr aus dem Orbit berichten.
Inzwischen sind derartige an Naturwissenschaftler adressierte Trostworte nicht mehr erforderlich. Nachdem Eduardo Kac vor 3 Jahren seine transgene Kreation Alba, ein grün schimmerndes Kaninchen als lebendes Artefakt vorgestellt hat, entlassen nicht nur Biotechniker ihre Chimären als Kunstwerke in die Medienwelt, um so die Akzeptanz für genetisch veränderte Organismen zu fördern, sondern zunehmend wollen auch Künstler ihr täglich Brot selber klonen. |
Klonen kommt in Mode, scheint in
ähnlicher Weise zu reüssieren wie weiland das Experiment. Wer
noch kein DNS-Opus programmieren kann, nutzt wenigstens das
Avantgarde-Image bzw. Skandalpotential des Begriffs: Geklont werden
Shakespeares Liebessonette, Picassos Stierkopf.
Der Künstler A. Zet kombiniert Tachismus und Minimal Art und betitelt
das Ergebnis Klonen 2. Das Bemalen eines Blattes
mit identischen Figuren nennt Klaus Eichenberg Klonen.... Und natürlich geht
es ums Klonen auch in der Ausstellung im Sprengel Museum:
Gutes Morgen, Dr. Mad! heißt die von Weis und De Mattia aufgebaute
Videoinstallation, in der ein aus Fragmenten diverser SF-Filme
„gesampelter“ Wissenschaftler und sein keimfrei-androgyner
Homunkulus ein endloses Gespräch um Alltag und Mythos der
Wissenschaft führen. „Auch ein Stück Sciencefiction“ versprechen die
Autoren. Von phantastischen Androiden allerdings, von Bio-Robotern,
Mutanten, Architektur- und Maschinenentwürfen, um deretwillen man in
SF-Filme rennt, keine Spur! Dafür eine bis ins letzte Detail
durchdachte, in sich durchaus stimmige Darstellung: mit einem gezielt
phrasenhaften Dialog allerdings, der kaum auszuhalten ist. Dem man sich
entziehen sollte, sobald die verfremdende Wirkung der
Kanak-Sprak-Anleihe im Titel nachläßt und statt dessen den instruktiven
Interview-Text der beiden Künstler lesen.
Das
wissenschaftliche Avantgarde-Thema Nano-Technik soll der Besucher
über eine interaktive Installation von Sommerer & Mignonneau, ihrem
Selbstverständnis nach Avantgarde-Künstler, kennen lernen, muß
zuvor aber bestätigen, daß er weder Telefon- und Kreditkarten noch Handy
und Herzschrittmacher mit sich führt. Nano-Scape heißt die
unsichtbare Skulptur und besteht aus elektromagnetischen Feldern, die
mittels Interface zu ertasten sind und sich im Zuge der Annäherung
verändern (Force-Feedback-Technologie). Daß bei diesem durchaus
unterhaltsamen Experiment tatsächlich Wissen über den Nano-Bereich
„durch intuitive Erfahrung spürbar“ wird, ist allerdings zu bezweifeln.
Denn mikrokosmische Vorgänge waren zunächst ja gerade deshalb so schwer
zu verstehen, weil man sie mit „intuitiven Konzepten“ nicht erfassen
konnte.
Das Atelier van
Lieshout - 2001 in den Medien wegen der Gründung des Freistaates
AVL-Ville im Rotterdamer Hafen mit eigener Währung, Schnaps- und
Waffenproduktion – präsentiert eine Arbeit zur „Dynamik und Adaptivität
neuronaler Systeme“, zu Prozessen also, die u.a. bei der Kompensation
von Gehirnschäden von Bedeutung sind. Hirnpavillon lautet der
Titel der Installation, an deren Außenwänden die wissenschaftliche
Perspektive visuell dokumentiert ist, während der Innenraum den
subjektiven Empfindungen vorbehalten bleibt. Die zeigen sich über
„Zeichnungen, weil diese schon eine Abbildung meiner Seele sind.“ Und
was sein Porträtfoto nicht verrät: in Joep van Lieshouts Seele – der
nackte Grüß-August am Eingang avisiert Ironie und bereitet den Besucher
vor - geht’s zu wie im
Swinger-Club. „Science + fiction“,
heißt es im Katalog, „ist eine Ausstellung, die unser Bild der
Wirklichkeit in Wissenschaft und Kunst zum Thema macht.“ Diese
Formulierung allerdings, das wird
schon beim ersten Rundgang klar, ist reinster Etikettenschwindel.
Ausdrücklich verkünden die Kuratoren Iglhaut und Spring, daß Kunst gewiß
nicht zur Illustration wissenschaftlicher Lehrsätze herangezogen werden
könne. Genau das aber passiert in der Schau. Gutes Morgen, Dr. Mad
ausgenommen, denn da handelt es sich - tendenziell zumindest
- um Kunst, sind sämtliche Arbeiten, auch der noch nicht erwähnte
Expeditionsbus von Christoph Keller und das überdimensionale
Kartenspiel Wild Cards von Dellbrügge & de Moll über Prognosen
zum Wissen der Zukunft, als Info-Design anzusprechen. Durchaus
instruktiv, überraschend, inspirierend (Wild Cards), im Prinzip
jedoch identisch mit schul- und vorschulischer Wissensvermittlung. Eine Begegnung
zweier - im Sinne der von Nils Bohr formulierten Komplementärtheorie –
unterschiedlicher, aber gleichermaßen richtiger bzw. wahrer Weltsichten,
findet nicht statt. Es dominiert die wissenschaftliche Perspektive; von
der Kunst ist nur deren Schrumpfstufe im Rennen und erbringt die
gewünschte Dienstleistung: PUSH (Public
Understanding of Science and Humanities) zu fördern, auf daß sich
die „Asymetrien zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit abbauen.“ War
mehr zu erwarten? Kaum! Kunst, so Heisenberg, ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen dem Geist der Zeit und dem Künstler. Wie Kochs Rübenacker zeigt, bringt nicht das Motiv, sondern die Form den Zeitgeist ins Bild. Erst der spezifische Einsatz bestimmter Bildmittel führt zur assoziativen Vernetzung – hier: zwischen Rüben, Mikro- und Makrokosmos und damit zu einem Natur-Bild der Gegenwart. Während Kunst – kurz gesagt - die Totale anpeilt und ihre Wahrheit als Gestalt offeriert, ist Naturwissenschaft auf Teilgebiete fixiert und vermittelt Ergebnisse als Berechnungen: Zwei komplementär zueinander stehende Perspektiven auf die Welt. In der Kunst gibt es kein Äquivalent für E=mc². Desgleichen würde jeder Versuch scheitern, den semantischen Gehalt der Courbetschen Steinklopfer mit Darstellungsmöglichkeiten der Physik zu erfassen. Aber man kann Die Steinklopfer bewundern und im Kopf haben, daß es die Einsteinsche Formel gibt – und umgekehrt!
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