ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Landschaftsbilder der DDR
 
Neubauer Test
 
Günter Neubauer von Knobelsdorff, "Höhe 48,4" ,1987
 

Seelower Höhen 1945 Bundesarchiv

Seelower Höhen,1945              (Bundesarchiv)







Otto Niemeyer-Holstein, "Usedomer Strand nach der Sturmflut", o.J.






Ernst Schröder Mecklenburgische Dorflandschaft

Ernst Schröder, "Mecklenburgische Dorflandschaft",
1954





Bernhard Kretzschmar Blick auf Stalinstadt

Bernhard Kretzschmar, "Blick auf Stalinstadt", 1955






Werner Tübke Hiroshima

Werner Tübke, "Hiroshima II", 1958






Karl Krug Norwegen

Karl Krug, "Norwegen", 1977






Doris Ziegler Musizierender Engel in Pragwitz

Doris Ziegler, "Musizierender Engel in Pragwitz",
1977





Erika Stürmer Abendliche Begegnung

Erika Stürmer-Alex; "Abendliche Begegnung", 1978






Jürgen Böttcher Strawalde

(Jürgen Böttcher) Strawalde, "Berlin-Küste", 1984






Mattheuer Fenster II

Wolfgang Mattheuer, "Fenster II", 1966


 

April 1945: 3 Tage dauerte die „Schlacht um die Seelower Höhen“, in der – drei Wochen vor Kriegsende – mehr als 58 000 russische, polnische und deutsche Soldaten umkamen, Dörfer und Städte des Oderbruchs zu 90% zerstört und die Landschaft, ehedem als „Garten Berlins“ bezeichnet, weitgehend verwüstet wurden. Noch 50 Jahre später konnte man 20 km nördlich von Frankfurt nahe der Ortschaft Reitwein Spuren des brachialen Geschehens, Teile von Schanzen, überwucherte Laufgräben, Geschoßkrater und verfallene Unterstände im Brombeerdickicht entdecken und zugleich, nicht nur wegen der Minensucher auf Wiesen und abgeernteten Feldern, bei sich registrieren, wie sukzessiv die geschichtliche Dimension der Landschaft alle anderen Wahrnehmungen zu überlagern begann.

Seelower Höhen“! „Reitweiner Sporn“? Abgesehen von Neubauers „Höhe 48,4“ aus dem Jahr ´87,  tauchen solche Motive in der gegenwärtig laufenden, von Brigitte Rieger-Jähner und Armin Hauer kuratierten Ausstellung Landschaftsbilder der DDR im Museum Junge Kunst (Frankfurt/Oder) nicht auf. Das ist bemerkenswert insofern, als auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegskunst die „Drachenzähne“ etwa des NS-Westwalls im Aachener Raum oder vergleichbare Sujets wie die grüne „Mondoberfläche“, als die sich 1947 das von Bombentrichtern überzogene Areal unter der Levensauer Hochbrücke am Nord-Ostsee-Kanal präsentierte, kaum zu finden sind. Bei allen Unterschieden, die sich im folgenden zwischen Ost- und Westkunst-Entwicklung zeigen sollten, in dieser Hinsicht war die Situation identisch: Ohnmacht drüben wie hüben angesichts der Aufgabe, ein epochales Ereignis solchen Zuschnitts künstlerisch zu bewältigen.

Ohnmacht oder Unlust? Westlicherseits hatte sich, nachdem 1945 flugs zur „Stunde Null“ deklariert worden war, relativ schnell ein gänzlich anderes, abseits jedweder Realität liegendes Ziel etabliert. Die Kunst sollte modern, d.h., abstrakt werden; die gegenständliche-, also auch Landschaftsmalerei mußte dem „Fortschritt“ weichen. So konnte z. B. eine Retrospektive auf die „Neue Sachlichkeit“, die man 1951 den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen angetragen hatte, nicht mehr stattfinden. Für Künstler wie Dix, Grosz, Lenk, Radziwill, Schad und Schrimpf, desgleichen für die Vertreter des „Expressiven Realismus“ – heute als „verschollene Generation“ bezeichnet – gab es weder Öffentlichkeit noch Resonanz. Das Motiv „Landschaft“ wechselte das Medium, mutierte zum Synonym für Kitsch und war fortan nur noch als Schwarz- und Silberwald, als Umgebung von Moor- und Immenhof im Heimatfilm präsent.

Östlich der Elbe gab es solche Diskriminierungen der Landschaftsmalerei nicht. Sie wurde durchaus mißtrauisch beäugt seitens der Kulturbürokratie, zumal das bei Künstlern und Publikum äußerst beliebte Genre nur selten transportierte, was Kunstwerke nach Johannes R. Becher generell ausdrücken sollten: „Seht her! In uns kommt eine neue Zeit!“ Folgerichtig standen  Demonstrationsbilder wie Gottfried Richters „Wir sammeln uns“, Arbeiterporträts und Gruppendarstellungen in der Art von Berganders „Hausfriedenskomitee“ oder Womackas „Rast bei der Ernte“ offiziell deutlich höher im Kurs als Landschaftsmalerei. Die galt als unpolitisch, mußte sich das Etikett „kleinbürgerlich“ anhängen lassen, wurde andererseits aber kaum reglementiert, so daß neben Gemälden wie Manfred Böttchers „Landschaft mit Lokomotive“ (1963) oder Kurt Dornis` „Brücke mit aufgehender Sonne“ (1974), deren Metaphorik der Becherschen Vorstellung entsprach, auch Arbeiten anderer Thematik in öffentlichen Sammlungen landeten.

Das zeigt sich deutlich – sichtbar bereits bei den Arbeiten der 50er Jahre – in der Frankfurter Schau. Es dominieren die tradierten Landschaftsmalermotive, also „Blumengarten des Künstlers und Figur“ (Paul Wilhelm), „Usedomer Strand nach der Sturmflut“ (Otto Niemeyer-Holstein) oder „Mecklenburgische Dorflandschaft“ (Ernst Schröder). Auch Max Lingner, 1918 am Kieler Matrosenaufstand beteiligt, 1934 Mitglied der FKP und 1949 von Frankreich in die DDR übersiedelt, ist nur mit einem düsteren Bild der „Straße nach Rummelsberg“ vertreten. Einzig Bernhard Kretzschmars extrem heiterer „Blick auf Stalinstadt“ (1955), den man als Prospekt einer sozialistischen Utopie lesen kann, bedient die landläufige Vorstellung von DDR-Kunst.

Daß weitere Arbeiten dieser Kategorie nicht zu sehen sind, ergibt sich aus der zugrundeliegenden Ausstellungskonzeption. Wie schon bei der letztjährigen Berliner Exposition „Kunst in der DDR“, geht es auch in Frankfurt nicht um „Knowledge production“ zum Thema „Kulturpolitik der DDR“, sondern ausdrücklich um eine Schau, die allein nach ästhetischen Kriterien zusammengestellt wurde. Hier allerdings  – nachzulesen in einem der neueren Bestandskataloge des Museums – wird erstaunlicherweise auch mitgeliefert, was man unter künstlerischer Qualität versteht: „Eine dem Inhalt entsprechende Formgebung, also Wahrhaftigkeit; Innovation, d.h. Eigensinnigkeit, Originalität, Provokation, Authentizität; sowie Intensität, d.h. eine auf das Gefühl wirkende Kraft, und letztlich Komplexität, eine numinöse Ganzheit.“

War diese Hürde von den Arbeiten, die infolge des von Walter Ulbricht initiierten kulturrevolutionären Programms („Bitterfelder Weg“) fabriziert wurden, tatsächlich nicht zu nehmen?

 Natürlich kann man an dem zitierten Kriterien-Katalog, der auf postmoderne Versatzstücke verzichtet, auch altehrwürdige West-Werte wie „Medienreflexion“ oder „Entgrenzung des Kunstbegriffs“ vernachlässigt, herummäkeln. Als Vehikel für die Zusammenstellung einer solchen Präsentation indessen erweist er sich als brauchbar, denn herausgekommen ist eine interessante, sehr spezifische Ausstellung. Vor allem westlichen Besuchern, denen noch die Sätze der Maler Penck („Jetzt stellt sich heraus, daß sie nur Propagandamist gemalt haben“.) und Baselitz („Keine Jubelmaler, ganz einfach Arschlöcher.“) im Ohr klingen, vermittelt schon der erste Rundblick eine überraschende Information: Im Bereich der Landschaftsmalerei zumindest sind über den Sozialistischen Realismus hinaus, und zwar nicht erst nach der 4. Tagung des ZK der SED Anfang der 70er Jahre, eine Vielzahl durchaus unterschiedlicher Werke entstanden, darunter Bilder von beeindruckender Qualität.

 Einen anrührenden Komplex bilden die Arbeiten der vor und um 1900 geborenen Maler aus den 50er Jahren, mit denen die chronologisch gehängte Ausstellung beginnt. Die vorwiegend kleinen Formate wirken wie Versuche zur Selbstvergewisserung, wie Sondierungen, Status und Funktion des Künstlers nach den Erfahrungen während der NS-Diktatur neu zu bestimmen, via Rückgriff auf Cézanne und Postimpressionismus zu testen, ob die Verschiebung der realen Erscheinungen in die Parallelwelt der Kunst überhaupt noch funktioniert: Landschaften als Indikator des kulturellen Klimas der Nachkriegszeit.

Besondere Attraktivität gewinnt die Schau durch eine schrittweise kenntlich werdende formale Spur, die so deutlich bislang in keiner anderen Ausstellung zutage getreten ist. Sie hat hier ihren Ausgangspunkt bei Karl Krug, dessen magisch wirkende „Rote Häuser“ (1952) an das bereits 1925 vom gleichaltrigen Franz Lenk gemalte „Haus am Abhang“ erinnern. Sie führt weiter zu Rudolf Nehmers „Stilleben mit Kalla“ (1948/67), einem Gemälde, das den nüchtern-sachlichen Angang widerspiegelt, der die lakonischen Stilleben der 20er Jahre von Bernhard Dörries etwa oder Adolf Erbslöh prägt. Sie setzt sich fort mit Siegfried Korths „Born auf Darß“ (1958), das an die düster-phantastischen Stimmungen der Bilder Franz Radziwills denken läßt. Kurt Dornis´ „Dächer von Plagnitz“ (1969) verweisen auf die stilistisch vergleichbaren Panorama-Darstellungen der Weimarer Zeit und ein spezifisches Raumgefühl, vermittelt durch plastisch dargestellte, in Schrägsicht und über Eck gezeigte Behausungen in hügeliger, baumloser Mittelgebirgslandschaft, wie es  u.a. in der „Aussicht von Grötzingen bei Durlach“ (1925) von Georg Scholz visualisiert wurde, findet sich in modifizierter Form bei Wolfgang Mattheuers „Fenster II“ (1966). Die Maler der „Neuen Sachlichkeit“ kurzum, die 1925 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden und bis zu ihrer Diskreditierung durch das NS-Regime – Hitler sprach in seiner Nürnberger Parteitagsrede (September 1935) von „den dadaistisch-kubistischen und futuristischen Erlebnis- und Sachlichkeitsschwätzern“ – tonangebend blieben, waren im Gegensatz zur BRD, wo sie nahezu drei Jahrzehnte im Off verschwanden,  in der DDR von Beginn an präsent. Nahmen Einfluß auf die künstlerische Entwicklung der nächsten Generation und tradierten eine bestimmte, die gesellschaftliche Verantwortung des Künstlers betreffende Vorstellung, wie sie in Werner Tübkes „Hiroshima II“ (1958), das im Zuge seines Engagement bei der Anti-Atomkriegs-Bewegung entstand, zum Ausdruck kommt und schließlich auch in den Manifestationen „Leipziger Schule“ (Heisig, Mattheuer, Tübke) deutlich wird. Uwe Pfeifer – Jahrgang ´47, Schüler bei Mattheuer und Tübke und mit zwei überzeugenden Stadtlandschaften in der Ausstellung vertreten –  in einem Interview (1991) über die Entwicklung seiner künstlerischen Position, in dem er indirekt die Verbindung zwischen „Neuer Sachlichkeit“ und „Leipziger Schule“ anspricht: „Kleine Absetzungsgefechte gab es in dieser Zeit zwischen der „Leipziger Schule“ und der Dresdner Akademie, da von unserem Standpunkt aus die dortige Malerei entweder platt war oder einer Kultivierung des Malerischen, einer Art Postimpressionismus huldigte, ohne sich den Härten und Wahrheiten der Realität zu stellen.“

Den Schluß der Ausstellung bildet das oben erwähnte Gemälde „Höhe 48,4“ von Günter Neubauer. In einem aus drei Segmenten bestehenden Querformat zeigt er die Landschaft südlich des Oberbruchs, wie man sie heute von der „Brücke des Friedens“ aus sehen kann, die Frankfurt und Słubice auf der polnischen Seite des Flusses miteinander verbindet. Hineinprojiziert in diese reale gegenwärtige Situation ist die Vision der Höhe 48,4 nach Beendigung der Kampfhandlungen im April ´45: ein gewaltiger, blutiger Tierkadaver, dem man die Haut abgezogen hat. Von der „Höhe 48,4“ aus ergeben sich Blickverbindungen zu markanten Positionen des Rundgangs, zu Paul Wilhelms Gemälde „Der Blumengarten...“, das für eine Tendenz der 50er Jahre steht, für den Rückzug zahlreicher Künstler ins Private. Davon abgesetzt Kretzschmars Versuch, über den „Blick auf Stalinstadt“ eine sozialistische Zukunftsperspektive anzubieten. In der Mitte schließlich Wolfgang Mattheuers mit 39 Jahren gemaltes „Fenster II“ (1966), die eindrucksvollste Arbeit und Höhepunkt der Exposition. Ein Bild, dem via moderner Formensprache gelingt, persönliche und gesellschaftlich relevante Befindlichkeiten sowohl der pragmatischen als auch der ideologischen Sicht zu entziehen, d.h., als Kunst ins Bild zu setzen und hier sogar, ohne daß ein Ikarus fällt oder Sisyphus schwitzt.

Konkret 9/2004

     
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