ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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Schönheit in der Sackgasse | ||||||||
Sandro Botticelli, "Porträt der Simonetta Vespucci", 1476/80 „Wer die Schönheit nicht lobt, der muß an der Seele oder am Körper blind sein, und wenn er gesunde Augen hat, verdient er“, so der italienische Humanist Lorenzo Valla, „daß sie ihm genommen werden, weil er ja doch nicht merkt, daß er sie hat.“ Aber was, um Himmelswillen, sollte man an dieser Himmelsmacht loben? Etwa, was sie für Kardinal Bembo ist, einem Zeitgenossen Dürers, nämlich „nichts anderes als Anmut, die aus Proportion und Harmonie hervorgeht“? Oder Schönheit als Offenbarung von Ideen, als Ausdruck der Seele, wie sie Plotin im 3. Jahrhundert definiert? Geht es um die von Platon beschriebene Idee objektiver Schönheit oder soll die Vorstellung der Sophisten gelten, der zufolge Schönheit als eine Sache subjektiver Wertschätzung zu sehen ist? Ist vielleicht die Schönheit gemeint, die Sokrates einem Mistkorb zuschreibt, sofern sich Mist damit gut transportieren läßt oder jene, die – nach Bonaventura und ca. siebzehnhundert Jahre später entdeckt – per Bild entsteht, „wenn es die Häßlichkeit des Teufels gut wiedergibt und also häßlich ist“?
Michael Pacher, "Der heilige Antonius und der Teufel", 1471/75 Dürer, der diesbezügliche Probleme mit
Experten in Deutschland, Italien und den Niederlanden diskutiert und ein
Leben lang versucht hat, seine Vision von Schönheit in Bildern zu
fixieren, ihr zugleich auch ein theoretisches
Fundament erarbeiten wollte, muß am
Ende kapitulieren: „Die Schönheit, was das ist, das weiß ich nicht,
wiewohl sie vielen Dingen anhängt.“ Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wird das Dürersche „Weiß-ich-nicht“ bzw. dessen französische Version („je ne sais quoi“) zum Modewort, und damit beginnt eine Entwicklung, an deren Ende Marcel Duchamp der Mona Lisa einen Schnurrbart verpaßt (1919).
Dieser
Satz nämlich initiiert eine Mentalitätsveränderung, bei der die
tradierte Idee von der Schönheit als einem objektiven, theoriewürdigen
Phänomen schrittweise an Faszination verliert und einer Vorstellung
Platz macht, die Schönheit als subjektive Empfindung, als
Geschmackssache und Angelegenheit gesellschaftlicher Konventionen sieht. Durch diese Statusveränderung – sie wird später
auch von Kant konstatiert – geht der Schönheit ein Teil ihrer
strahlenden Aura verloren.
Fortgesetzt wird die Demontage des herkömmlichen Schönheitsbegriffs in der Romantik: Schönheit soll nun nicht mehr Wohlgefallen, sondern Ergriffenheit, Enthusiasmus auslösen. Die Gleichgültigkeit gegenüber Formen und jedwedem Regelwerk, wie sie etwa in den Landschaften Turners zum Ausdruck kommt, die offensichtliche Affinität zum Fragment als der ästhetischen Figur, die in antiken resp. gotischen Ruinen ihr passendes Sujet findet, der Hang zum Grotesken, Dämonischen, Irrationalen schließlich, der sich überdeutlich bei
Johann Heinrich Füssli, "Nachtmahr", 1781
Füssli und Blake zeigt; nicht zuletzt auch die Negierung realer
Erscheinungen zugunsten einer geistigen Durchleuchtung der Natur (Runge)
unterstreichen, was Friedrich Schlegel 1797 formulierte: Nicht das
Schöne sei das Prinzip der modernen Kunst, sondern das
Charakteristische, das Interessante und das Philosophische. Diesem Statement zum Trotz bleibt der Kunst
während des gesamten 19. Jahrhunderts die Schönheit weitgehend erhalten,
was u.a. in der forcierten Förderung staatlicher Kunstsammlungen und der
Gestaltung der Friedhöfe zum Ausdruck kommt. Berühmte Begleitmusik von
Platens: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon
anheimgegeben ...“ Sie wird Gegenstand nahezu kultischer Verehrung
seitens der bürgerlichen Gesellschaft, die mit derartiger Aktivität die
sozialen Probleme der Industrialisierung und das ethische Desaster
kolonialer Ausbeutung verdrängt. Anfang des 20. Jahrhunderts aber – der Jugendstil ist zu den Akten gelegt – erfüllt sich die Schlegelsche Prognose, beflügelt von Rimbauds wegweisenden Zeilen: „Eines Abends nahm ich die Schönheit auf meinen Schoß. – Und ich fand sie bitter. Und ich schmähte sie.“ (1873) Apollinaire gibt dem Schönen noch die gleiche Chance wie der Häßlichkeit, aber kurz darauf (1930) läßt Somerset Maugham eine Romanfigur von Schönheit als einer Sackgasse sprechen und Barnet Newman erkennt 1948: „Der Impuls moderner Kunst ist der Wunsch, Schönheit zu zerstören“.
Barnet Newman, "Voice of Fire", 1967 (Ausschnitt)
Jean Dubuffet zwei Jahre später: „Schönheit spielt für mich
keine Rolle.“ Ein oft zitierter Satz, denn er scheint zu belegen, daß
der Paradigmenwechsel vollzogen ist. Aber gerade am künstlerischen
Output Dubuffets zeigt sich, daß sie durch Zerstörung von Klischees,
auch derer, die sie selbst betreffen, neu entsteht: Nach der 2.documenta
(1959) tauchen seine Motive auch in den Kunstpostkartenständern auf und
werden gekauft: wegen ihrer – ich kann’s
bezeugen – Schönheit, was freilich nichts daran ändert, daß sie
aus der Ästhetik-Debatte verschwindet. |
Spätestens mit Beginn des 21.Jahrhunderts ist
sie – unübersehbar war der Run auf Aerobic, Diät- und Fitneßprogramme,
auf Piercings, Brandings, Tattoos und Schönheitsoperationen – wieder da,
wieder im Diskurs, bekanntgeben in einem Event „Über Schönheit“, der
gegenwärtig (2005) in Berlin, im Haus der Kulturen der Welt, über die
Bühne geht und neben der zentralen Ausstellung als weitere Schwerpunkte
Performances und Diskussionen zu den Themen Mode, Musik, Tanz, Film und
Architektur im Programm hat. Sollte man der Schönheit tatsächlich – auch
bei den Kunst-Kreationen der Gegenwart –
demnächst wieder ansichtig werden: als dem Portal zu
Transzendentem, als Vorschein des Utopischen, als Vehikel, so Konrad
Fiedler, zur Aufklärung des Verstandes über das anschauliche Wesen der
Welt? Daten wie die Anzahl der weltweit agierenden
Avon-Ladys (4,4 Millionen als Hintergrundinformation) signalisieren, daß
etwas anderes zurückkommt als verschwunden ist. Der Kurator Wu Hung,
Chicago: „Diese ´Wiederkehr der Schönheit’ ist weit davon entfernt,
einfach ein vorher negiertes Konzept wieder auferstehen zu lassen.
Vielmehr ist sie ein komplexes zeitgenössisches Phänomen, das in
unterschiedlichen Ideologien, sozialen Schichten, intellektuellen
Niveaus und künstlerischen Neuerungen auftaucht.“
Wie die Träne zum Heimatfilm, so gehört zu
solchen Großereignissen ein spezielles Innovations-Signal. Hier ist es –
wenngleich nicht so aufdringlich präsentiert wie die „Plattformen“ der
11. Documenta oder die „Hubs“ der 3. Berlin Biennale – die Vokabel
„negotiation“, wobei die Übersetzung per Fußnote vorsichtshalber
mitgeliefert wird („to negotiate = verhandeln“). Sie enthält das
didaktisch-methodische Grundprinzip der Ausstellung, und tatsächlich
beginnt die „Verhandlung“ bereits vor der Tür. Mit einem Dialog
nämlich zwischen Henry Moores „Big Butterfly“ im linken
Spiegelteich und einer aus mehreren Hundert auf- und zusammenklappbaren
Wäscheständern bestehenden Installation namens „City in the Wind“ der in
Berlin lebenden Qin Yufen im rechten Becken. Drapiert ist das filigrane
Gestänge der Chinesin mit Seidenfähnchen, denen das Wort „Schönheit“ in
verschiednen Sprachen appliziert wurde. Und was den Dialog betrifft, so
dürfte er mit einem Achselzucken seitens ihrer poetischen Stellage
begonnen haben und der höflichen Bemerkung, daß man, angesichts dieser
monumentalen 10-Tonnen-Plastik, den Titel „Big Butterfly“ nicht recht
verstehe.
Henry Moore, "Big Butterfly", 1986
Weiter verhandelt wird im Foyer der „Schwangeren
Auster“, denn zu den Liebhabereien postmoderner Kuratoren gehört die
aktive Einbindung der räumlichen Gegebenheiten in die
Ausstellungskonzeption. Dieses Amt versehen hier Micheal Lin aus Taiwan,
der auf das Betongrau der 50er-Jahre-Architektur mit einer bunten
Fußbodenbemalung reagiert, die vergessene Blumenmuster taiwanesischer
Dekostoffe zitiert, und die aus Constantine/Algerien stammende Samta
Benyahia, deren Fenster-Installation die hohe Glaswand mit
durchsichtigen, blauen, sehr vieles ausdrückenden Rosetten versieht: Sie
verkörpern – das entnehme ich einem Text des Kurators Wu Hung – u.a.
Weisheit und Schönheit, sie sind multikulturelles Symbol kosmischer
Ordnung und universeller Harmonie und zugleich Anspielung auf die ideale
Weiblichkeit. Wer will da noch mithalten?
Unter der Rubrik „Beauty and the Body“ z.B. sind
die naturalistischen Ölgemälde Shi Chongs und eine Fotografie des
Nigerianers Rotimi Fani-Kayode (gest. 1989) gegenübergestellt. Auf der
einen Seite Chongs nackte, von Pflegemitteln überkleisterte, mit
Schläuchen, Folien und Werbematerial beklebte Frauenkörper, auf der
anderen die zeremonielle Bemalung eines Farbigen, wie man sie von der
Ethno-Fotografie her kennt.
Ins Auge fallend der Kopf von „Tara“, eine mit
knalligem Gold, Gelb, Blau, Rot und Schwarz bemalte Kunstharz-Plastik
des Inders Ravinder Reddy. Angesiedelt zwischen Shivas traditioneller
Schönheit und modernem Design, wirkt die Figur plakativ-künstlich, ja,
steril. Daneben die über zwei Quadratmeter große Fotografie der
Amerikanerin Cindy Sherman. Sie fungiert oft als ihr eigenes Modell und
spielt in „Untitled # 156“ eine soziale Außenseiterin, die – versehen
mit allen Klischees der Häßlichkeit – der Schönheit begegnet: am flachen
Ufer eines Gewässers in Form von überspülten Muscheln und Kieselsteinen.
Subjektives Geschmacksurteil: Kitsch! p
Letztes Beispiel: Nam June Paik, der hier – so
Wu Hung – mit sich selbst verhandelt. Zu seiner aus 12 Farbfernsehern
bestehenden Installation „Moon is the Oldest Television“ aus dem Jahr
1965 stellt er Video-Projektionen neueren Datums, die mythische Tänze
und Bilder ziehender Vogelschwärme zeigen. Die beiden Ebenen, unten die
Fernseher, darüber die vier Projektionswände, werden nicht überblendet
oder anderweitig vermischt; sie bleiben getrennt. „Paik stellt sie“, wie
der Kurator bemerkt, „in einen Dialog, der beide problematisiert.“ So wandert man von einer inszenierten
Problematisierung zur nächsten und was sie anbieten, sind interessante
Informationen über unterschiedliche Vorstellungen von Schönheit und ihre
wechselseitige Durchdringung. Was man bei dieser Thematik darüber hinaus
erwarten konnte, daß die Schönheit selbst gelegentlich Regie führen und
etwas von ihrer bezwingenden Macht spürbar würde, deutet sich –
angesichts der silbrig-grauen, wie entmaterialisiert wirkenden
Hades-Figuren der Installation „Here? Or There?“ von Wang Gongxin & Lin
Tianmiao – nur ein einziges Mal an. Woran liegt das? An der eher
kunstwissenschaftlich ausgerichteten Schau, bei der die begriffliche
Erweiterung einer bislang von westlicher Sicht und Terminologie
geprägten Debatte im Vordergrund steht und die Kunstwerke primär als
Beweisstücke präsentiert werden? Vielleicht an der Auswahl der
Künstlerinnen und Künstler? Von den 24 Beteiligten aus 16 Ländern leben
zwei Drittel in Peking, New York, Berlin; sie alle agieren, was anhand
der Ausstellungslisten erkennbar ist, auf internationalem Parcours und
zeichnen sich durch eine gewisse Affinität zu den im Diskurs
zirkulierenden Problemstellungen aus. Sie liefern Arbeiten, bei denen es
nicht darum geht, eine „sinnliche Reaktion des Betrachters auf ‚schöne
Bilder’“ auszulösen, sondern darum, den Begriff Schönheit neu zu fassen:
„als ein Feld für Problematisierungen in der Produktion und in der
Würdigung heutiger Kunst.“
Die Vermutung drängt sich auf, daß der
ästhetische Diskurs hier an strukturell bedingte Grenzen stößt. Die
Schönheit (die „vielen Dingen anhängt“) ist eine spezifische, an die
Gestalt der Dinge gebundene komplexe Qualität, die –
bezogen auf Kunstwerke – über die Wirkung der Form intuitiv
erfaßt und als evident empfunden wird. Der Diskurs, bei seiner
momentanen Favorisierung der Problematisierungs- und
Aufarbeitungskommunikation, kann sinnliche Erfahrungen dieser Art nicht
integrieren. Er ist, was die Entdeckung aktuell entstehender Schönheit
betrifft, überfordert.
Immerhin aber
registriert er Auffassungen wie die des Amerikaners Dave Hickey, der von
der „Muttersprache der Schönheit“ spricht und das Recht gewöhnlicher
Betrachter einfordert, Bilder im direkten Zugang aufzunehmen – „ohne die
Fürsprache einer Priesterschaft“!
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