ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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Arte-Casting-Show: "Sehr intelligent, was er sagt."
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„Dein Talent ist Null, und Null ist noch aufgerundet!“ |
„Das einzige, was du kannst, ist als Geruch auf 'm Fischkutter arbeiten!" |
Casting anno 1636: Peter Paul Rubens, "Das Ureil des Paris" |
Solcherart Sprüche, mit denen Dieter Bohlen, Methusalem unter den
Talent-Show-Moderatoren, für Gelächter im Publikum und meist für abrupte
Beendigung der Super-Star-Träume seiner Prüflinge sorgt, dürften bald
der Trash- resp. Kulturgeschichte anheimfallen. „Popstars“ dümpelt im
Quoten-Tief. Bei „X Factor“
läuft es mies. Die Süddeutsche Zeitung empfiehlt Heidi Klum, die Suche
nach „Germanys Next TopModell“
einzustellen. Irritiert sieht sich das ehedem gewinnträchtige Format von
Vokabeln wie „Kandidatenflucht“, „Krise“, „Casting-Dämmerung“ und
„Abgesang“ umstellt. Sollte die erst kürzlich kreierte Prognose des
Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen, Castingshows seien auf
Selbstzerstörung hin angelegt, so urplötzlich in Erfüllung gehen? Mitnichten!
Dass die RTL-Chefin Anke Schäferkordt ihren Goldeseln noch mindestens
zwei, drei Jahre Medienpräsenz zutraut, leuchtet ein. Dass aber Arte
jene akademische Prophezeiung gänzlich ausblendet, ist schon
verblüffend. Seit November 2011 tauchen Castingshows im Programm auf,
die man allerdings, versteht sich, auf ein neues Niveau bringen will.
Zunächst mit „Photo for Life“, wo unter der Ägide von Oliviero Toscani,
der in den achtziger und neunziger Jahren durch provokante Aufnahmen
(mongoloides Kind, küssende Nonne) die Werbung des italienischen
Modelabels Benetton prägte, viel geknipst und mutig diskutiert wird. Des
Weiteren, im August 2012, per Operncasting („Wer wird Carmen?“), das den
ausgewählten vier Hauptdarstellern einen Auftritt bei den Berliner
Seefestspielen am Wannsee beschert. Schließlich – letzte Sendung Mitte
Dezember – durch sechs Folgen, in denen es um „Alles für die Kunst“
geht. „Jeder
Mensch ist ein Künstler!“ Unfug oder Utopie, die Anzahl derer, die an
das Beuyssche Diktum glauben, scheint zu wachsen. Mehr als 2000 Bewerber
aus Belgien, Deutschland und Frankreich hatten sich für das
Arte-Spektakel angemeldet, von denen dann – nach diversen
Sichtungsprozeduren und dem „ehrenvollen“ Rücktritt dreier Aspiranten
vor dem Schlußspurt – ganze 4 das „Finale“ erreichten.
Als Moderatoren der Show fungieren Christiane zu Salm und Peter Raue.
Raue, Jurist, Kunstmäzen und kürzlich auffällig geworden, als er beim
Wandelkonzert am 27. September in Schloß Bellevue dem Bundespräsidenten
nahelegen konnte, die 10 stark farbigen Porträts, die sein Vorgänger für
110.000 Euro bei Volker Henze bestellt hatte, doch wieder, und zwar wg.
Unzumutbarkeit, abhängen zu lassen, Raue scheint in diesem Duo den Part
des Feinsinnigen zu geben. Frau zu Salm hingegen, Medienunternehmerin,
im Kunstbereich engagiert, zeitweilig bei MTV und 9Life aktiv, wo man
durch Call-in-Shows mit mehrwertgebührenpflichtigen Gewinnspielen
Umsätze von über 100 Millionen erzielte, Christiane zu Salm, artikuliert
sich eher („Sagen Sie mal: Was ist daran Kunst?“) in der Art des
Volksmundes.
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Das realistische Bild entsteht tatsächlich, da als Moderatoren Insider
des Kunstbetriebs agieren, die sich im Mainstream oder weniger anrüchig:
im Rahmen des Diskurses bewegen. So wird dem Zuschauer bereits in der
ersten Folge eine wichtige Einsicht verabreicht: „Bilde, Künstler! Rede
nicht!“ – Goethes Verlautbarung, ohnehin an Lyriker gerichtet, hat in
der Bildenden Kunst des 21. Jahrhunderts nun definitiv nichts mehr zu
suchen! Ohne verbale Rahmung nämlich, ohne die Fähigkeit des Künstlers,
für seine Arbeit auf sprachlicher Ebene Relevanz zu suggerieren, läuft
gar nichts. Ismael Duá z.B., dessen mit Streichhölzern gefülltes Objekt
im DIN A4-Format an die 70er Jahre erinnert und alles andere auslöst als
einen innovativen Schock, kommt dann doch noch, nach seinem Statement
über Normen und Kategorien, eine Runde weiter, denn: „Das ist sehr
intelligent, was er sagt.“ Ziemlich präzise spiegelt die Arte-Casting-Show auch den veränderten
Status wider, den das Gros der bildenden Künstler heutzutage wohl oder
übel akzeptieren muss. Sicher, es gibt die vom Handel inspirierten
Ohne-Man-Shows – erinnert sei an die 300.000 Euro, die den
Deichtorhallen zwecks Ausrichtung der Jonathan-Meese-Schau zugesteckt
worden sein sollen –, aber die klassische Einzelausstellung, in der eine
neue oder veränderte „Sicht der Dinge“, wie sie sich aus individueller
Wahrnehmung und autonomer, freischaffender Formulierungs-Schufterei
ergeben kann, ist Mangelware. Inzwischen liegt die Kompetenz in Sachen
Ästhetik bei den Kuratoren. Sie bestimmen, was im Rahmen ihrer
Themenausstellungen von neueren wissenschaftlichen Befunden aus Bio-,
Anthropo-, Ethno-, Soziologie usw. relevant ist und von den eingeladenen
Künstlern bearbeitet werden soll.
Das deckt sich weitgehend mit der Aufgabenstellung der Arte-Castingshow. Auch hier war Bestelltes, nämlich Selbstporträt, Akt, Paraphrase, Performance, Provokation abzuliefern, was Alice Mulliez, die französische Kandidatin, wie folgt kommentierte: „Die lassen hier kein Klischee aus; wahrscheinlich werden wir uns bald ein Ohr abschneiden.“ Gefragt war nicht eine Arbeit, die aus der gegenwärtigen, jeweils spezifischen Interessenslage der jungen Künstler erwächst, sondern ein Beleg für anpassungsfähige Kreativität. Ein wirklichkeitsnahes Bild des Kunstbetriebs! Ob´s einem gefällt, ist eine andere Sache. Erschienen in Konkret 1/2013 |
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