ARMIN SCHREIBER |
KUNST-PATERNOSTER |
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Anita Albus: Erinnerungen an die Zukunft | ||||
In der Schlußsequenz
ihres Buches Die Kunst der Künste.
Erinnerungen an die Malerei gibt Anita Albus – Malerin und
Schriftstellerin – das Motiv ihrer dreieinhalbjährigen Beschäftigung mit
dieser Thematik bekannt. Es „war der Wunsch zu begreifen, warum ich
malend nicht weiterkam, und die Hoffnung, am Ende meiner Rätselreise das
Tor der Malerei wieder geöffnet zu finden“.
Dass sie, die ihre
akribischen Blumen-Porträts
von Orchideen, Lilien und Akeleien mit selbstgefertigten Aquarellfarben
in altmeisterlicher Technik ins Bild bringt und Künstler aus dem 16. und
17. Jahrhundert wie Georg Flegel oder MariaSibylla Merian als ihre
Vorläufer nennt, dass sie bei den Stars des gegenwärtigen Kunstbetriebs
keine Lösungsangebote finden kann und will, liegt auf der Hand. Wen
unter den Protagonisten der heutigen Ausstellungsszene [1997], deren
Avantgarde sich ohnehin längst verabschiedet hat von Malerei und
Tafelbild, sollte sie wohl auch fragen?
Aber ihr geht es um
mehr als die Bewältigung einer individuellen Krise. Was zunächst nur in
Nebensätzen und Fußnoten artikuliert wird, kommt schließlich in einer
längeren Passage des vierten und letzten Teils mit aller Deutlichkeit
zum Ausdruck. In einem zwanzigseitigen, zwischen Schärfe und Melancholie
changierenden Lamento liest sie uns und der Postmoderne die Leviten:
Nach dem Sieg der Darstellung über das Dargestellte habe die Malerei
ihren Gegenstand verschlungen und zeige nur noch sich selbst; wir seien
Gefangene eines technischen Universums, in dem die fortschreitende
Verarmung des Naturkosmos einem immer kärglicheren Kulturkosmos
entspreche: „Wir spotten über die Salonmaler des 19. Jahrhunderts wie
das 21. über unseren kolossalen Tand spotten wird, dessen
Geistesverwandtschaft mit totalem Kitsch uns nur deshalb entgeht, weil
wir uns wie der gescheite Hans im Märchen verhalten“, der, das sei
angemerkt, neue Situationen nicht durchschaut, weil er ihnen mittels
einer wortwörtlich übertragenen, nicht mehr greifenden
Handlungsanweisung vom jeweils gestrigen Tag zu Leibe rückt. Mit solchen Invektiven, die vorerst – soweit das zu übersehen ist – nur
sporadisch ins Licht der Öffentlichkeit geraten, dürfte auch Anita Albus
bei den ins Visier genommenen Adressaten einstweilen noch auf Ablehnung
stoßen, selbstverständlich! Gleichwohl steht sie nicht allein: Auf
Enzensbergers Aporien der Moderne (1962) weist die Autorin selbst hin, desgleichen
auf Tom Wolfs The painted World
(1975), das in deutscher Übersetzung (Worte in Farbe) 1992 erschien, aber kaum beachtet wurde. Für eine
Minimal-Irritation sorgten Noltes
Kollaps der Moderne (1989) und das
Kursbuch 99 (1990). Etwas mehr
Wirbel dagegen verursachte Eduard Beaucamps kunstkritische Bußpredigt
Ausbruch aus der
Fortschrittskarawane vom 17. Juli 1993 in der
FAZ. Im Unterschied
jedoch zu ihren Vor- und Mitstreitern, die es bei der kritischen
Bestandsaufnahme des Status quo und einem eher vage formulierten Rufen
nach Um- oder Neudefinition der Werte und Perspektiven belassen, will
Albus offensichtlich einen Schritt weiter gehen und sie wird konkret:
„Torniamo all´antico ed il sarà un progresso!“ Im Sinne dieser
Verdischen Maxime fasst sie die Malerei des 15. Bis 17. Jahrhunderts ins
Auge, konfrontiert die von „kryptischen Philosophen“ dominierte
Gegenwartskunst mit ihrer Geschichte, mit den bildnerischen
Manifestationen einer Epoche, in der noch die von Dürer sogenannte
„inwendige Figur“ und der Hand-Auge-Apparat des Künstlers das
ästhetische Feld beherrschten.
Ausgehend von van Eyck, Rogier van der Weiden und einem Abstecher zu Memling, deren Weltbilder noch „aus der Perspektive und im Lichte Gottes“ gesehen sind, zugleich aber schon, durch die Geometrisierung des Bildraumes, dessen Profanisierung einleiten, über die Landschaften Davids, Altdorfers, und Patinirs, in
Joachim Patinir, „Heiliger Hieronimus in Felsenlandschaft“,1515/24 denen sich die Verweltlichung der Sujets fortsetzt, führt ihre „Reise“ zu den Raucher- und Blumenstilleben (Flegel, Goedaert) und endet schließlich bei einem barocken Waldboden-Spektakel des Otto Marseus van Schrieck, den seine Künstlerkollegen „Snuffelaer“ nannten, weil er permanent „herumschnüffelte“ auf der Suche nach Schlangen, Lurchen, Fröschen und Insekten. Angepeilter Zeitraum und Auswahl der Künstler – Burgmair
und Grünewald, die Expressionisten unter den Renaissance-Malern, tauchen
selbst in den Fußnoten nicht auf – machen deutlich, dass sich Albus für
ein bestimmtes Phänomen dieser Epoche interessiert, für die Emanzipation
und Entfaltung der dinglichen Welt, und zwar in Verbindung mit einer auf
die Erscheinungen der Natur hin ausgerichteten besonderen Haltung:
Pflanzen, Tiere, Gegenstände, Landschaften, bis dahin nur „Beiwerk“ und
entsprechend honoriert von den Auftraggebern, erfahren eine zuvor nie
gekannte Zuwendung seitens der Künstler.
Otto Marseus van Schrieck, "Stillleben mit Insekten und Amphibien", 1662. Getragen von der
Vorstellung, über die hingebungsvolle (van Eyck: „Als ik kann“)
„Rekonstruktion der Schöpfung“ und das – insofern Gott ähnlich –Eingehen
in ihr Werk einen sozusagen komprimierten Gottesdienst leisten, bringen
sie sichtbare Realität in bedeutungsvoller Schönheit ins Bild,
ausgestattet mit dem „hohen visuellen Gewicht“ der Lasur-Malerei, das
sich umsetzt in dezent, aber nachhaltig wirkende Anwesenheitsenergie.
Auch Goedaert
gehört, oberflächlich gesehen, in diese auf van Eyck folgende Reihe. Und
Albus entdeckt bei ihm noch einmal jene Hingabe, jene Fähigkeit der
Künstler, „in ihrer Malerei zu verschwinden“.
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Hier allerdings muß man einwenden, dass Goedaert nicht mehr – wie noch seine Vorgänger – von den Dingen ergriffen wird. Vielmehr versucht er – insofern den Naturwissenschaftlern seiner Zeit vergleichbar – seine Objekte durch genaueste Beobachtung zu begreifen, was auch in der präzisen Darstellung der Insekten (Stachelbeerspanner, Admiral, Ameise, Fliege, Blaue Ödlandschrecke, Erd-oder Gartenhummel) und der Schnirkelschnecke am rechten unteren Bildrand deutlich wird. Das vermittelt sich auch dem Betrachter.
Merkwürdigerweise spielen bestimmte, die Gestalt der Bilder, ihre
ästhetische Dimension betreffende Fragen in den „Erinnerungen“ der
Autorin (und Malerin) kaum eine Rolle. Ausführlich und in eingängigen,
z.T. sehr schönen, bildhaft-präzisen Formulierungen beschreibt sie die
Technik der Lasur-Malerei, widmet ein 80-Seiten-Kapitel – einer der
Höhepunkte ihres poetischen Sachbuchs – dem Bleiweiß, Grünspan, Malachit
usw., den „verlorenen Farben“ der alten Meister und liefert zum Schluss
noch ein Glossar, in dem so klangvolle Begriffe wie „Paragone“,
„Prima-Malerei“ und „Pfropfchimäre“ erläutert sind. Über formale Fragen
indessen wird nur sehr kurz und am Rande gesprochen.
Jan van Eyck, "Rolin-Madonna", Ausschnitt
An den Details interessiert sie weniger deren bildnerische
Funktion, sondern vor allem ihr „versteckter Symbolismus“. Die Elstern
beispielsweise in van Eycks Rolin-Madonna: Kein Wort darüber, daß die
zwei schwarz-weißen Vögel auf dem Gartenweg – ein optischer Hammer der
Güteklasse I – die Farbigkeit des Umfeldes deutlich steigern und durch
ihre Stellung und gestaffelte Anordnung die Räumlichkeit der Situation
erst erlebbar wird. Demonstrieren nicht gerade sie, gleichsam pars pro
toto und auf überzeugende Weise, wie mühelos van Eyck die Umsetzung der
Konstruktion in bildnerische Gestalt bewerkstelligt?
Albus dagegen
verwickelt die beiden Vögel in eine – allerdings höchst unterhaltsame –
Spekulation: Wurde der Maler durch den Auftraggeber gebeten, den auf der
Unterzeichnung noch vorhandenen dicken Geldbeutel zu übermalen? Könnte
er seiner Bitte Nachdruck verliehen haben durch den Hinweis auf Rogier
van der Weyden, der ja auch nicht schlecht male? Und hat schließlich van
Eyck dem mächtigen Kanzler Rolin ein Schnippchen geschlagen: durch das
Hinzufügen der „diebischen Elstern“? Abgesehen von der Darstellung des niederländischen Tulpenwahns im Zusammenhang mit Goedaerts Blumenstilleben (1634-37: eine Zwiebel der Sorte „Vizekönig“ kostete 2500 Gulden, 8 fette Schweine waren zur gleichen Zeit für 120 Gulden zu haben), geht es auch sonst vornehmlich um die den Dingen „eingelegten Bedeutungen“.
Gerard David, Außenseiten des Triptychons "Geburt Christi mit Stifter und den Heiligen Hieronymus und Leonard", 1508
So nimmt sie z.B.
Altdorfers Laubwald mit dem
heiligen Georg zum Anlass für eine soziokulturelle Betrachtung über
Drachen und Drachentöter. Davids
Waldlandschaft bildet den Ausgangspunkt für die Beschreibung
allegorischer Verknüpfungen von Mühle und Mutter Gottes. Und die zwei
Erdbeeren in Flegels
Raucherstilleben evozieren u.a. Ausführungen zur antiken
„Säfte-Lehre“, zudem den anrührenden Hinweis, dass diese Früchte im
Volksglauben als Nahrung galten für die Seelen verstorbener Kinder,
weshalb man heruntergefallene Beeren nicht aufhob.
Solche
Informationen sind interessant, zumal es Anita Albus gelingt, ihre
Entdeckungen verschiedener Provenienz auf subtile Weise zu verknüpfen,
so dass über den Nachweis allegorischer, mythologischer, religiöser,
alchemistischer und wissenschaftlicher Bezüge die Vorstellung einer
mehrdimensionalen Dingwelt entsteht, in der die heutzutage favorisierte
utilitaristische Sicht nur einen Aspekt ausmacht.
Aber hat nicht
– tückischerweise – die Aversion gegenüber dem Tiefsinn hinter den
Dingen, einer im 19. Jahrhundert reüssierenden Mutation der „versteckten
Symbolik“, mit dazu beigetragen, die auch von Albus beklagte Entfernung
des Gegenstandesaus der Malerei zu beschleunigen?
In ihrer
Vorstellung von Kunst bzw. Malerei stehen Intensität des Blicks, Hingabe
an die Natur und handwerkliches Können, insbesondere der Umgang mit
Farben, an erster Stelle. Angesichts
der Gewichtung leuchtet die Schlussfolgerung ihrer „Erinnerungen“
durchaus ein: jene Fähigkeiten zurückzugewinnen, die ihre Protagonisten
besaßen. „Nicht um das Gleiche zu machen wie sie, sollten wir bei ihnen
anknüpfen, sondern um am Gleichen teilzuhaben…“ Nun sind derartige „Erinnerungen an die Malerei“ eine Sache. Aus diesen Erinnerungen Anhaltspunkte für eine Zukunftsperspektive zu gewinnen, eine andere – und schwierigere. Denn so ohne weiteres ist ein Kurzschluss zwischen Renaissance und dem 21. Jahrhundert nicht herzustellen. Hier – und das muß bei aller Begeisterung für den weitaus größten Teil ihres Buches gesagt werden –fehlen ein paar prinzipielle Hinweise darüber, wie sich die von ihr gewünschte Anknüpfung unter den heute gegebenen Bedingungen vollziehen könnte
Dass sich Sehgewohnheiten ändern, Bildmittel also, um ihre
Wirkung zu erhalten, permanent neu organisiert, nachjustiert werden
müssen, dass sich Dinge – z.B. durch die Erfindung der mechanischen
Bildmedien Foto, Film, Video – in veränderten Konstellationen zeigen;
dass virulente „inwendige Figuren“, mit denen Künstler heute auf die
Realität zu- und eingehen, nicht mehr die des van Eyck oder van Schrieck
sein können und warum: solche die formale Komponente der Malerei
betreffende Fragen treten in ihren Darlegungen nicht deutlich genug in
Erscheinung.
Eine Bündelung
der zahlreichen am Rande (und in den Fußnoten) kurz vermerkten Details
und ihre Erweiterung zu einen fundierten Exkurs über das ABC
bildsprachlicher Formulierungen hätten sowohl ihrer Kritik der
Gegenwartskunst als auch den Schlussfolgerungen am Ende des Buches mehr
Nachdruck und Überzeugungskraft verliehen.
Möglich ist,
daß Anita Albus über einen traditionsbewußten Blick auf die Kunst, der
sich wohltuend abhebt von einem ins Beliebige ausgeuferten „erweiterten
Kunstbegriff“, für sich das
Tor zur Malerei neu geöffnet hat. Und auf jeden Fall werden Leser ihres
Buches die Sektion „Alte Meister“ beim nächsten Museumsbesuch mit
anderen Augen absolvieren! Ob aber von ihrer Arbeit auch ein Impuls für
die zukünftige Malerei ausgehen wird, bleibt fraglich.
Erschienen in der
NZZ, 26./27. April 1997 |
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