ARMIN SCHREIBER |
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Carl Einstein Die Diktatur des malenden Mundes |
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Carl Einstein, Die Kunst des 20. Jahrhunderts. 5. Band der Gesamtausgabe. Fannei & Walz Verlag, Berlin 1996
Ludwig Meidner, "Porträt Carl Einstein", 1913
Das könnte sich ändern, seit
Die Kunst des 20. Jahrhunderts,
erstmals 1926 erschienen, und zwar als 16. Band der
Propyläen-Kunstgeschichte,
wieder vorliegt: „Die Theorie der Farbe des Kandinsky ist das Bedichten
der Farbtube, nicht viel mehr.“ Die verbalen Manifestationen der jungen
russischen Konstruktivisten bezeichnet er als „Diktatur des malenden
Mundes“, deren Werke als „Exzesse pedantischer Ordnung“. Man reagierte,
so Einstein, auf die gesellschaftlichen Strukturen, auf die lethargische
Grundstimmung („Oblomowerei“) des ausgehenden 19.Jahrhunderts mit
„Lineal und Zirkel“, suchte neue Stabilität bei der Mathematik: „Dies
war umso naiver, da man mit dem hundertprozentigen, erkenntnismäßig
gesicherten Bild gerade begann, als die Mathematiker auf eine völlige
Gewißheit ihrer Lösungen schamhaft verzichteten.“
Und angesichts
entsprechender Bilder prognostiziert er hellsichtig die Ankunft der Philosophen im
Kunstbetrieb der Moderne: Nun nämlich sei gestattet, „das ärmliche
Machwerk durch langwierige Philosopheme zu rechtfertigen.“
Auch das „andere Lager“ – Beispiel Otto Dix –
geht keineswegs leer aus: „Vielleicht ist man im Herzen malender
Revolutionär am linken Motiv.“ Was auffällt und die Lektüre tatsächlich
zum Vergnügen macht, ist der frische professionelle Blick des Insiders.
Hier näselt nicht einer im Konjunktiv, sondern formuliert direkt,
konkret, provokant, aber auch einfühlsam und immer abgesichert durch
Erfahrung und daraus resultierende Intuition. Er sieht die Kunst des
ersten Jahrhundertdrittels zu einem Zeitpunkt, in dem der Prozeß ihrer
Verklärung noch nicht angelaufen ist. |
Oder zu Franz Marc: „Mark verläßt die
«ichsüchtige Enge» der Menschendarstellung, um die Tiere zu malen –
«nicht, wie ich sie ansehe, sondern wie sie sind (wie sie selbst die
Welt ansehen und ihr Sein fühlen)». Der Instinkt leitet ihn von dem
Lebensgefühl für den Menschen zu dem Gefühl für die reinen Tiere.“
Die Texte wirken, als seien sie unmittelbar nach Ausstellungs- oder Atelierbesuchen geschrieben, sind zugleich aber von einer Übersicht und Klarheit, wie sie in der Regel erst bei größerer zeitlicher Distanz zustande kommen. (Einschub 2015: Wenn Roger M. Buergel, Leiter der 12. Documenta, 2007 konstatierte, daß es, was ästhetische Formen betrifft, einen kompletten Analphabetismus gäbe: hier, bei Carl Einstein kann man lernen bzw. rekapitulieren, auf welche Weise Formen, Bildmittel generell, funktionieren und was passiert, sobald Künstler – aufgrund innerer Befindlichkeit etwa oder doktrinärer Verengung – mit halb- oder ungeklärten Formerfindungen in Serie gehen, aber zugleich auch nachlesen, nachvollziehen, wie – u.a. bei Paul Klee oder Franz Marc – über gelungene, im Kontakt sowohl mit der inneren Vorstellung als auch mit der sichtbaren Welt entstandene Formfindungen – neue Perspektiven, Einstellungen, Haltungen greifbar werden.) Hat Carl Einstein, der sich auch später, in
Die Fabrikation der Fiktionen
noch einmal vehement gegen die Vernichtung „des Realen“ wandte, im
Hinblick Auf Konstruktivismus und Abstraktion einen Fauxpas fabriziert?
Oder hatte er diesbezüglich den weitesten Weitblick?
Erschienen in Konkret 10/97 (und
eine kurze Erweiterung) |
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