1907 in Paris: Ein Jahr, nachdem Picasso
ihr Konterfei erstellt hatte, malte Félix Vallotton (1865 –
1925) ein Bildnis der amerikanischen Avantgarde-Dichterin
Gertrude Stein. Was er von der legendären ersten Zeile ihres
Poems Sacred Emily („Rose is a rose is
a rose is a rose“) gehalten hat, ist nicht überliefert,
wohl aber, wie die Porträtierte den Künstler einschätzte: Er sei
der Manet für arme Sammler! Seine Preise kannte sie, denn in
ihrer Wohnung hing, neben Gemälden von Picasso und Matisse,
Vallottons Liegender Akt auf gelbem Kissen, dessen
„Obszönität“ die Ausstellungsbesucher im Salon des Indépendants
(1905) fast ebenso in Rage
versetzt hatte wie 40 Jahre zuvor Edouard Manets Olympia.
Auch mit Blick auf das Motiv also und die dazugehörende
Skandalgeschichte kann man ihr Bonmot akzeptieren. Bezogen auf
den Grundimpetus der betreffenden Künstler allerdings geht der
Vergleich voll daneben.
"Porträt
Gertrude Stein", 1907
„Alles ist flach, ohne Relief ..., die
Pik-Dame eines Kartenspiels, die gerade aus dem Bade kommt!“ So
hatte Courbet den ersten Auftritt der Olympia kommentiert
und damit Manets „Plus c´est plat, plus c´est de l´art“
ausgelöst, jenen Satz, der die Flächigkeit der Malerei
postulierte und zum Credo und Common Sense der Moderne werden
ließ und den sie
während des gesamten 20. Jahrhunderts trotz gelegentlicher
Einsprüche („Un citron, ce n'est pas
plat, Matisse!“) nicht mehr loswerden sollte. In den
Gemälden Vallottons, die zwischen 1895 und ´98 entstehen,
natürlich auch in seinen Holzschnitten, schlägt die von Hokusai
und Co. übernommene Auffassung, der Gegenstand müsse plan auf
der Leinwand erscheinen, noch durch. Mit Liegender Akt auf
gelbem Kissen spätestens hat er diese Vorstellung
hinter sich gelassen und modelliert. Seine
Bildgegenstände, vorwiegend nackte Damen, setzt, legt, stellt er
ausdrücklich so ins Geviert, daß deren Volumen als signifikantes
Kennzeichen sofort ins Auge fällt: Extrem plastische Figuren zu
einer Zeit, da tout Paris die Zweidimensionalität feiert! Die
Irritation muß heftig gewesen sein und scheint bis heute
nachzuwirken, was sich in der
paradoxen Etikettierung „Avantgardist gegen die Moderne“
widerspiegelt, auch in den kontroversen Urteilen zur
künstlerischen Qualität.
Harald Szeeman z.B., international
renommierter Kurator, moniert an seinen Ölbildern „die Art der
Malerei, die überangespannte Komposition, die Anleihen bei
Illustrationen von Sammelwerken“ (1991) und folgt damit der
Kritik Emil Heilbuts aus dem Jahre 1903: „Gräßlich ist mir
Vallotton, wenn er malt.“ Bessere Karten hat er bei seinen
Kollegen. Alexander Kanold etwa, Vertreter der Neuen
Sachlichkeit, bescheinigt Vallotton, er habe mit seiner Kunst
der Schönheit ein Denkmal gesetzt (1931). Dieter Asmus 75 Jahre
später: „Er ist waghalsig, was Sicht, Komposition und
Farbstellung betrifft ..., und wenn’s klappt, überragt er viele
seiner Zeitgenossen bei weitem.“ Und für Andreas Orosz, Jahrgang
1960, gehört Vallotton zu den raren Künstlern, deren Werk „eine
Matrix für die Welt“ anbietet.
"Drei Frauen und ein kleines Mädchen
im Wasser spielend", 1907
Begeistert übrigens war Gertrude Stein
nicht von Vallottons Porträt, das neben dem Gesicht sehr
deutlich auch ihre voluminöse Präsenz betont. Es fehle, so
Steins Statement, eine Akzentuierung in Richtung Eleganz. Und da
hatte sie recht! Möglicherweise war Vallotton gedanklich noch
oder schon mit jenen Damen befaßt, die im gleichen Jahr in den
zwei großformatigen Gemälden Türkisches Bad und Drei
Frauen und ein kleines Mädchen im Wasser spielend agieren.
Nichtsdestotrotz taucht eine detaillierte Beschreibung der
kuriosen Herstellungsprozedur in ihrer Autobiographie auf, die
sie 1933 im Namen ihrer Freundin verfaßt ( The Autobiography
of Alice B. Toklas ), und der Schlußsatz läßt
vermuten, daß Gertrude Stein sich schließlich doch mit ihrem
Bildnis arrangiert hat: „Wenn er ein Porträt malte machte er
eine Bleistiftskizze und begann dann oben quer über die Leinwand
zu malen. „ Es sei “, heißt es weiter, „als ziehe man einen Vorhang
herunter so langsam wie sich einer seiner Schweizer Gletscher
bewege.... Der ganze Vorgang dauerte etwa zwei Wochen und dann
überreichte er einem das Bild. Vorher stellte er es noch im
Salon d´Automne aus und es erregte großes Aufsehen und jeder war
zufrieden.“
Daß Vallotton, hochreflektierter Künstler und – was
Tagebücher, Briefe, Ausstellungsbesprechungen belegen – auf der
Höhe der Zeit, seine Bilder nicht skizzenhaft-schnell, sondern
abweichend von der „manière moderne“ penibel von oben nach unten
malt, wie das ansonsten nur Naive – Henri Rousseau z.B. oder
Frida Kahlo – zu tun pflegen,verweist auf ausgeprägte Sturheit
als die mentale Grundausstattung seines Charakters: „Ich
male, wie ich es gelernt habe!“ Punktum, möchte man anfügen.
Ohne diese Sturheit aber, ohne diese für ihn offenbar wichtige
Energiequelle, hätte er sich womöglich weder von den
postimpressionistischen Ideen absetzen, noch die eigene
Vision entfalten können und Bilder wie die erwähnten Drei
Frauen... wären nie
entstanden. Arbeiten, die querstehen auf der Zeitleiste der
Kunstgeschichte und das Publikum noch immer mit Fragezeichen in
die Cafeteria entlassen.
Hans Holbein d.J., "Die Familie des
Künstlers", etwa 1528
Anzeichen für spezifische Ambitionen
zeigen sich bereits zu Beginn des Studiums: Gerade mal 16 ist
Félix Vallotton – 2 Jahre zuvor hatte eine Schachtel
Wasserfarben sein Talent zutage befördert –, als er, Sohn eines
Drogisten aus Lausanne und auf der Fahrt von seinem Vater
begleitet, im Frühjahr 1882 in Paris ankommt und stante pede zur
Realisierung seines Berufes ansetzt. Folgt man Jacques Verdier,
dem Ich-Erzähler und alter ego Vallottons in dessen von
Biographismen geprägten Roman Das mörderische Leben
(1907/08, erschienen 1930), findet er die Modernen „weniger
anziehend“. Es ist Ingres, Großmeister des Klassizismus und
später auch von Matisse und Picasso verehrt, der dem jungen
Künstler imponiert. Stärker noch zieht es ihn – das belegen
Kopien von Vallottons Hand – zu Albrecht Dürer, Lukas Chranach
und Hans Holbein, dessen Gemälde Die Familie des Künstlers
(1528/29) er als wahres Wunderwerk bezeichnet. Am Gesicht
der Ehefrau Fasziniert ihn, nachzulesen in einem Artikel
Vallottons (1892),wie Holbein die Spuren von Müdigkeit und
Kummer zum Ausdruck bringt, „selbst geringfügigsten Details
Beachtung schenkt und nicht einmal vor den Mängeln und Schwächen
des Körpers Halt macht.“ In anderem Zusammenhang findet sich die
Bemerkung „ohne Mogelei“: Vallotton stößt hier auf eine Haltung,
die seiner Auffassung von Wirklichkeitstreue entspricht.
In der Begegnung mit den
„Altdeutschen“ – so könnte man sagen – entfaltet und kräftigt
sich ein wichtiges Element seiner künstlerischen Intention, die
ihn schließlich zu einem avantgardistischen Maler des frühen 20.
Jahrhunderts werden läßt.
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"Mein Porträt", 1885
Gelegenheit, diesen Prozeß Revue
passieren zu lassen, bietet bis zum 18. Mai die exzellente Schau
Félix Vallotton – Idylle am Abgrund der Hamburger
Kunsthalle, die ca. 50 Holzschnitte und rund 70 Gemälde
versammelt, darunter auch einige jener „anstößigen“ Bilder,
deretwegen Mädchen unter 16 Jahren die erste große
Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich (1909) nicht betreten
durften. Besagten Akten allerdings begegnet man erst gegen Ende
des Rundgangs. Zunächst werden dem Publikum das Porträt des
Monsieur Ursenbach
und Vallottons Selbstbildnis als Zwanzigjähriger
(beide 1885) vorgestellt, Arbeiten, bei denen noch die
stilistische Nähe zu Courbet und Ingres, aber schon der gewisse,
für den späteren Vallotton so charakteristische Blick erkennbar
ist: unvoreingenommen, kühl-distanziert, jedoch von höchster
Aufmerksamkeit gegenüber der konkreten Erscheinung.
"Der Besuch -II", 1887
Aber nicht hier, im Eingangsbereich, sondern in der nächsten
Koje klumpt sich das Ausstellungseröffnungspublikum. Da nämlich
sind Bilder aus den Jahren 1898/99 – Das rote Zimmer, Der
Besuch oder Die Erwartung –
zu besichtigten, Interieurs, die Einblick in
bürgerliche Salons und auf die, so der Kurator, „amourösen
Abenteuer zur Teatime abseits des Eheversprechens“ gewähren.
Vermutlich haben diese Arbeiten zur Idylle am Abgrund,
dem Titel der Schau, geführt. Interessant allerdings sind sie
vor allem deshalb: Sie zeigen bildnerische Elemente, die später
– ergänzt und weiter angespitzt – das formale Gerüst der neuen,
ins Extrem gehenden Arbeiten bestimmen.
1897 war er, nach fünfjährigem Kontakt
mit einzelnen Malern der Formation, den Nabis
beigetreten, einer Gruppe Pariser Künstler, der u.a. Bonnard,
Roussel, Vuillard angehörten und die als Exponenten des
flächig-dekorativen Stils galten. Während sich Vallottons 1898
entstandene Gemälde wie Der Kuß und Die Lüge noch
als reinste Flächenmalerei präsentieren, vermitteln die
folgenden Arbeiten, insbesondere Der Besuch, tatsächlich
Raumgefühl! Vallotton verlagert den Blickpunkt nach unten und
bringt damit den Fußboden ins Bild. Er nutzt die Musterung der
Teppiche, um Fluchtlinien anzudeuten: die dritte Dimension wird
spürbar. Bei den Nabis fließen Gegenstände und Figuren
ineinander; hier indessen sind die Dinge vereinzelt, deutlich
konturiert und auf raffinierte Weise farblich gegeneinander
abgesetzt. Daß aber in einem Salon, der ausdrücklich als Raum
fixiert ist, das Tête-à-tête von vollplastischen-, anstatt
Pappfiguren oder Flachreliefs absolviert werden sollte, diese
formal logische Konsequenz zieht Vallotton erst im nächsten
Jahrhundert.
Mit Kniender Rückenakt vor Kamin (1900) folgt denn auch
ein weiterer Schritt in diese Richtung. Vehement fortgesetzt
aber – und dann mit gänzlich neuem Ansatz – wird der
Entwicklungsgang 1904: Sujets der akademischen Maltradition
aufgreifend, animiert er seine Modelle zu jenen klassischen
Posen, die ihre Vorgängerinnen als Muse, Odaliske oder Iphigenie
in mythologischen und allegorischen Darstellungen einzunehmen
hatten. Er desavouiert jedoch das damit angesprochene
Frauenbild, indem er körperliche Unzulänglichkeiten ausdrücklich
nicht kaschiert und Posituren und Gesten in Richtung Parodie hin
verändert. Was da z.B. von Zeus als Europa entführt wird, ist
keinesfalls die phönizische Königstochter, sondern eher ein
Bauerntrampel aus dem Waadtland.
"Perseus tötet den Drachen", 1910
Perseus´ Kampf gegen den
Drachen wirkt, als habe sich Johannes Grützke bzw. die
Laienspielschar der Wettringer Feuerwehr der Sache angenommen.
Seine Protagonistinnen scheinen sich von der tradierten Rolle zu
distanzieren. Mehr noch: Was ihnen der Neoklassizismus an
Symbolik, allegorischem Müll etc. angehängt hatte, soll in toto
von der Bildfläche verschwinden. Dieses Ziel vor Augen, arbeitet
er mit stupender Produktivität, wobei es gelegentlich auch zu
Qualitätsabstürzen kommt. Keinesfalls aber will er sich vom Akt
absentieren.
Offensichtlich begreift er ihn als
pars pro toto, als sein „Ding an sich“ und sucht in immer
neuen Anläufen nach konkreten, Gegenwart signalisierenden
Situationen, um seinen „Harem“ mit einem modernen Ambiente zu
versorgen: Während die vollschlanke Brünette, eine seiner
Figuren, 1914 noch als archaisch nackte Bacchantin tätig ist
(„Geschundener Orpheus“), füttert sie 1919, unbekleidet, weil
gerade dem Bett entsprungen, in exakt gleicher Haltung eine
graue Katze.
"Frau mit
Katze", 1919
Seine brisanten, in die Zukunft weisenden Bilder malt Vallotton
bereits in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, zu einer Zeit
also, in der die Gegenständlichkeit der Malerei zur Disposition
steht. Seine künstlerische Leistung ist vor diesem Hintergrund
zu sehen. Wie Kandinsky das Problem löst, ist bekannt. Was
Picasso leistet – auch. Anders aber als Picasso, der dem
Gegenstand via Kubismus, d.h., über eine grundlegende
Revitalisierung der Bildmittel, zu neuartiger schriller Präsenz
verhilft (Les Mademoiselles d´Avignon, 1907),
beginnt der Erneuerungsprozeß gegenständlichen Malens für
Vallotton mit dem Absaugen der den Dingen vom 19. Jahrhundert
zugeschusterten Bedeutungen, bis schließlich, über das Freilegen
der konkreten Gegebenheiten, ein so großartiges, modernes
Gemälde wie Drei Frauen und ein kleines Mädchen im Wasser
spielend (1907) entsteht (Vallottons Mademoiselles
!), wobei nach wie vor offen bleibt, warum – das fragte1909
bereits die Zürcher Post
– „die vier Dämchen gerade in der Tinte baden müssen“.
Erschienen in Konkret 4/2008
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