ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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 Franz Radziwill: Mauerer und Maler
     

Otto Dix Porträt Radziwill

Otto Dix, "Porträt Franz Radziwill", 1928

 

 

Franz Radziwill Russisches Dorf mit Synagoge 

Russisches Dorf mit Synagoge, 1920

 

 


Radziwill Landschaft mit roter Straße

"Landschaft mit roter Straße", 1923






Radziwill Gewittrige Landschaft

"Gewittrige Landschaft", 1924






Franz Radziwill Der Todessturz Karl Buchstätters

"Der Todessturz Karl Buchstätters",1928






Radziwill Sie bei Petershörn

"Siel bei Petershörn", 1929






Radziwill <kirche in der Friesischen Wehde

„Kirche in der Friesischen Wehde“, 1930





Radziwill Wasserturm in Bremen

"Wasserturm in Bremen", 1931
 

1927: Radziwill ist 32, lebt und arbeitet seit 5 Jahren in Dangast am Jadebusen und „damit er nicht verbauere“, wollen ihn Hamburger Kaufleute für ein halbes Jahr nach Paris schicken. Das freilich lehnt er ab, denn Paris – so der Künstler – sei den deutschen Malern noch nie gut bekommen. Stattdessen reist er nach Dresden und dort porträtiert ihn („...aber schön wirst du bei mir nicht!“) der zum linken Flügel der Neuen Sachlichkeit gehörende Otto Dix. Er zeigt ihn als eine Mixtur aus Kaspar Hauser und Neandertaler und man fragt sich, wen oder was Dix da im Blick hatte. Den „Proletarier der Kunst“, als den sich Radziwill selbst bezeichnete? Das „reiche Talent voll Einfalt und Tiefsinnigkeit“, als das ihn Schmidt-Rottluff sah? Oder erfaßte er intuitiv Radziwills politische Naivität, die ihn zunächst (1931) in die linksorientierte „Novembergruppe“, dann, 1933, in die NSDAP führt und auch nach 1937 noch in der Partei bleiben läßt (er avancierte zum Hauptstellenleiter auf Kreisebene), als er wegen seines expressionistischen Frühwerks bereits zu den „Entarteten“ gehört?

Bemerkenswertes Porträt einer problematischen Figur: Öffentlich distanziert vom Nationalsozialismus hat sich „Naziwill“ – so titulierte ihn 1947 der Maler Karl Hofer –  nie. Auch privat redete er, dem Bericht seiner Tochter Konstanze zufolge, „nicht gern darüber – allenfalls davon, daß die Nazis ihr eigenes Programm verraten hätten: niemand habe doch mehr verdienen sollen als tausend Mark im Monat!“ (!) Zweifellos muß man ihn jenen Gruppierungen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zuordnen, denen es an der moralischen und intellektuellen Kapazität fehlte, ihre Vergangenheit selbstkritisch zu reflektieren. Gleichzeitig aber gilt: Radziwill ist – gemessen an seinen besten Arbeiten, die er zwischen 1927 und 1932 fabriziert –  ein hochklassiger und eigenwilliger Maler, dessen Werk in der Hamburger Ausstellung sicherlich nicht zum letzten Mal im Fokus steht.
„Vom Expressionismus zum Magischen Realismus“ lautet der Titel der Schau und damit gerät die Vorgeschichte jener Phase ins Blickfeld, in der dann Radziwills Spitzenwerke entstehen: Die ersten Lebensjahre verlebt er am Wasser nahe der Bremer Hafengegend. In seinen Erinnerungen bewahrt er diese Zeit als „großartige Kindheit“ und kommt in privaten Erzählungen häufig und einer Weise darauf zurück, daß seine Tochter lange in der Vorstellung lebt, die Abenteuer der Welt fänden in Bremen statt. Nach Absolvierung der „Freischule“ und einer 4-jährigen Maurerlehre (60-Stunden-Woche) besucht er die Bau-, ab 1915 für 2 Monate die Kunstgewerbeschule. Im Juni wird er zum Militärdienst eingezogen.

Als Sanitäter – zunächst im Osten, darauf an der Westfront – erlebt er die Massaker des Krieges und versucht, über Skizzen und Zeichnungen das schockierende Geschen zu bewältigen. Radziwill später: „Irgendwann war mir klar, wenn ich da lebend rauskomm’, wird mein Leben in völlig anderen Bahnen verlaufen als bisher. Dann werde ich Maler!“ 1919 kehrt er nach Bremen zurück, und von dem Zeitpunkt an ist er Maler.

Die ehemalige Perückenmacherstube des kunstbegeisterten Friseurmeisters Gustav Brocks wird sein erstes eigenes Atelier und hier, inmitten einer „Galerie von Holzköpfen“, beginnt er mit der Vehemenz des Autodidakten die Suche nach einem künstlerischen Ausdruck, über den auch Schichten der Wirklichkeit zu fassen sind, die der Alltagswahrnehmung entgehen. Er startet mit Anleihen beim frühen Cézanne, gerät in die Nähe von Chagall, greift auf Formvorstellungen der Pittura metafisica de Chiricos zurück. Am stärksten allerdings beeinflußt ihn der Expressionismus, speziell Schmidt-Rottluff. Die Grundstimmung dieser frühen, oft bunten, auf Farbkontrast setzenden, vielfach holzschnittartig wirkenden Gemälde, in denen bereits Vorläufer jener Unheil signalisierenden runden, zwischen Bohrschem Atommodell und „blindem“ Spiegelei changierenden Himmelskörper auftauchen, die in späteren Bildern für symbolischen Tiefsinn sorgen, könnte man „expressiv-phantasmagorisch“ nennen, wobei sich der Eindruck des Synthetischen sukzessive verflüchtigt.

In Arbeiten wie „Landschaft mit gelben Bäumen und Reiter“(1922) oder "Landschaft mit roter Straße" (1923, die hinsichtlich Form und Farbe noch den Brücke-Malern Heckel, Schmidt-Rottluff, Kirchner & Co. nahestehen, aber bereits deutlich auf die „Tatsächlichkeiten des Anblicks“ (W. Niemeyer) reagieren, kündigt sich der Wechsel vom Expressionismus zum Magischen Realismus an;  „Stilleben mit blumiger Tapete“ aus dem gleichen Jahr steht formal bereits auf neuem Terrain.1924 schließlich, mit „Gewittrige Landschaft“ (norddeutsche Gegend mit dunkel-dramatischer Bewölkung: Häuser und Bäume, die der Wind aufwühlt, werden durch plötzlich punktuell durchbrechende Sonnenstrahlen in gleißendes Licht getaucht) hat er seine Sicht der Dinge gleichsam prototypisch fixiert.1927 geht er einen Schritt weiter, nämlich ostentativ und rabiat auf Distanz zu seinem expressionistischen Frühwerk, indem er dem Hamburger Freund und Förderer Niemeyer mitteilt, er möge diese Arbeiten als Verpackungsmaterial für die Versendung neuerer Bilder verwenden.

Ab 1920 etwa hatte sich die kulturelle Großwetterlage geändert. Das Interesse am Experimentellen und den formalen Erneuerungen, die Kubismus, Expressionismus, Futurismus und Abstraktion der Malerei implantiert hatten, war einer Hinwendung zur faktischen Realität gewichen, in Deutschland ebenso wie in Westeuropa und den USA. Im Zentrum stand nun, infolge der mentalen Verwerfungen und Zerstörungen, die der Krieg hinterlassen hatte, das Bedürfnis nach wiederzugewinnender Sicherheit, nach einem Weltbild, das tradierte Vorstellungen (Jean Cocteaus „Le rappel à l’ordre“!) aufnehmen, zugleich aber auch der Tatsache einer total veränderten Umwelt (Maschinen, Architektur etc.) gerecht werden sollte. Vor diesem Hintergrund ist Radziwills Entwicklung zu sehen:

Nachdem er 2 Jahre lang abwechselnd in Bremen, Hamburg und Berlin gewohnt und zunehmend deutlicher gespürt hatte, daß er in der Großstadt auf Dauer nicht würde existieren können, reiste er 1921, einer Empfehlung Schmidt-Rottluffs folgend, an den Jadebusen. 1922  wurde Dangast erster Wohnsitz; 1923 erwarb er – mitten in der Inflation war ihm der Verkauf zweier Bilder gegen US-Dollars gelungen – am Ortsrand ein baufälliges Fischerhaus und heiratete, als wollte er seine nunmehrige Seßhaftigkeit auf dem Lande ausdrücklich unterstreichen, eine Bauerntochter.

Rund 160 Arbeiten expressionistischen Zuschnitts hatte er bis dahin produziert, aber plötzlich war Schluß mit der Malerei: ausgelöst durch anstehende Renovierungen, primär jedoch wegen konzeptioneller Schwierigkeiten.

Aus der monatelang andauernden Blockade erlöste ihn – noch einmal Tochter Konstanze – ein „mystisches Naturerlebnis am Dangaster Deich“, ein Vorgang, der ähnlich, aber ohne die Mystik zu bemühen, in vielen Künstler-Biographien auftaucht und den Dieter Asmus z.B. „das blitzartige Zusammenschießen von innerer Vorstellung und äußerer Erscheinung“ nennt: Die Wahrnehmung bestimmter Komponenten einer Landschaft, einer Personen-, Ding- oder Licht-Schatten-Konstellation evoziert – und dabei können konkrete Analogien zu frühkindlichen Eindrücken (Radziwills „großartige Kindheit“!) eine wichtige Rolle spielen – einen tiefgreifend emotionalen Moment, in dem sich die vor Augen stehende Situation mit Bedeutung auflädt und zu einer komplexen visuellen Mitteilung auch darüber wird, wie zukünftige Bilder aussehen könnten. Radziwill 1924: „Die Türen der Malerei sind hiermit weit und neu geöffnet.“

„Aus dir wird nie etwas. Du fällst nich uff“, hatte ihm Otto Dix  prophezeit. Mit Arbeiten wie „Der Todessturz Karl Buchstätters“ (1928), „Siel bei Petershörn“ (1929) oder „Kirche in der Friesischen Wehde“(1930), in denen Radziwill die Grundgegebenheiten jener Deich-Situation (auf dunklem Fond via Licht exponierte Naturdinge und Artefakte) modifiziert und so zu suggestiven Gemälden eines „Magischen Realismus“ kommt, beweist er das Gegenteil. Bis 1932 trägt diese Bild-Vorstellung. Ab 1933 jedoch – am 1. Mai tritt er der NSDAP bei – scheint er den Kontakt zu seiner Vision zu verlieren und daß hier ein Zusammenhang besteht, ist anzunehmen. Faszination und Furcht gegenüber den dinglichen Erscheinungen der Welt über die Komprimierung einer konkreten Situation spürbar werden zu lassen, gelingt nur noch partiell und er versucht, dieses Manko, auch die Qualitätsverluste bei der Faktur, durch knüppeldicke Symbolik zu kompensieren.


„Magischer Realismus“? Zur kunstwissenschaftlichen Abgrenzung gegenüber der visuellen Lakonie seiner neusachlichen Kollegen Großberg, Dörries, Scholz etc., auch gegenüber der dezidiert gesellschaftskritischen Sicht von Dix und Grosz mag der Begriff brauchbar sein. Er unterschlägt jedoch, was durch Radziwills detailgenaue Konkretisierungen, durch expressive Farbigkeit und radikale Umkehrung der üblichen Lichtverhältnisse darüber hinaus zustande kommt: Ein noch immer nicht ausgeleierter Verfemdungseffekt nämlich, der den Kortex des Betrachters animiert, die Datenlage zur ästhetischen Dimension der Realität zu überprüfen und damit die von Konrad Fiedler sog. „Aufklärung des Verstandes über das anschauliche Wesen der Welt“ in Gang setzt.
Diese Fähigkeit der Malerei wird vom aktuellen Kunstbetrieb, der noch immer seine Mega-Marotte namens „Aufarbeitungskommunikation“ hingebungsvoll pflegt, kaum abgerufen. Gelegentlich passiert es: Dem Ästhetischen als dem Nichtdiskursiven kann man in der Radziwill-Ausstellung begegnen.

 

Erschienen in Konkret 8/2006




     
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