ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Albin Egger-Lienz:
"Raubkunst unter Faschismusverdacht?"
     

Albin Egger-Lienz? Seit Februar läuft im Wiener Leopold Museum die Ausstellung des in Deutschland nahezu unbekannten Künstlers, und sie läuft mit bemerkenswerter Resonanz. Sind plötzlich dem Wiener Publikum die formalen Qualitäten ihres Tiroler Malers ins Gebein gefahren? Oder hängt der rege Zuspruch mit den diversen Etikettierungen zusammen – „Heimatkünstler“, „Bauernmaler“, „Pazifist“, „Expressionist“, „Blut- und Bodenmaler“ –, die seinen Werken immer wieder angehängt wurden? Vor allem die unterstellte Nähe zur NS-Ideologie dürfte in diesem Frühjahr, da sich der Anschluß Österreichs zum 70. Mal jährt, ihre Wirkung nicht verfehlt haben, zumal auch die Wiener Staatsoper unter dem Titel „Opfer, Täter, Zuschauer“ ihre Aktivitäten zwischen 1938 und 1945 durchleuchtet und mit der langgehegten Vorstellung aufräumen mußte, das Opernhaus sei „Insel der Seligen inmitten einer grauenvollen Zeit“ gewesen.

 Den entscheidenden Impuls aber lieferten zwei Statements, die nicht den kolportierten Bezug zu faschistischer Ästhetik im Visier hatten, aber einen anderen, durchaus noch aktuellen wunden Punkt des österreichischen Kulturpatriotismus berührten, liegt doch die mit allerlei publizistischem Tamtam zelebrierte Trennung von Klimts „Adele Bloch-Bauer I“ (1907) – sie mußte an die Erbin der „Goldenen Adele“ retourniert werden – gerade erst zwei Jahre zurück. Wolfgang Zinggl kurzum, Kultursprecher der Wiener Grünen, nannte die Ausstellung „die wahrscheinlich größte Präsentation von Raubkunst seit vielen Jahren.“ Und Ariel Muzicant, Präsident der Israelischen Kultusgemeinde in Wien, ergänzte: „Was sich Herr und Frau Doktor Leopold geleistet haben, ist eine Ungeheuerlichkeit“ und forderte die Schließung des Museums bis zu einer Novellierung des Kunstrückgabegesetzes, was rundum – so der „Informationsdienst Kunst“ – die Gemüter erhitzte. Vor diesem Hintergrund liest sich die Notiz neben der farbigen Kohlezeichnung „Der Lotsch oder der Brandstifter“ (1908) wie eine Beruhigungsgeste: „Das Blatt gehört zu einem Bestand an Egger-Lienz´ Werken, die über den ehemaligen NS-Gauleiter Hofer in den Besitz des Landes Tirol gelangt sind. Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ersucht um Mitteilungen über die Provenienz und ehemalige Eigentümer und Rechtsnachfolger von Todes wegen“. Zu fragen wäre dann allerdings doch, ob diese Probleme bei etwas mehr Engagement nicht schon längst hätten geklärt werden können.

Egger-Lienz Mutter

Potrait seiner Mutter Maria Trojer, 1912

 Soviel zur Begleitmusik einer gleichwohl beeindruckenden Schau, die das inkriminierte Museum für Egger-Lienz inszeniert hat – anläßlich seines 140. Geburtstags: Am 29. Jänner 1868 wird er als uneheliches Kind der Bauerntochter Maria Trojer (die Kreidezeichnung „Die Mutter Maria Trojer“ wechselte kürzlich für 28.000 Euro den Besitzer) und des Kirchenmalers Georg Egger in Stribach unweit von Lienz/Tirol geboren und auf den Namen Ingenuin Albuin Trojer getauft. Er wächst auf in der Familie des Vaters, der ihn adoptiert; besucht die Volksschule der Franziskaner in Lienz, erhält eine erste künstlerische Ausbildung durch seinen Vater und den Maler Hugo Engl (spezialisiert auf Jagd- und Familienszenen), geht als 16-jähriger nach München und studiert dort bis 1893 an der Akademie der Bildenden Künste: In der Klasse für Antikenzeichnen bei Karl Raupp, alias „Chiemsee-Raupp“, in der Naturklasse Gabriel Ritter von Hackls, einem Genremaler, zu dessen Schülern u.a. Marc, Slevogt, de Chririco gehörten, sowie bei dem seinerzeit sehr erfolgreichen Historienmaler Wilhelm von Lindenschmit, der früher gelegentlich, etwa mit  „Currendschüler Martin Luther an der Thüre der Frau Ursula Cotta um Brod singend“, in Lesebüchern auftauchte.

 Er tritt in näheren Kontakt zu Franz von Defregger (1835 als Sohn eines Bauern in  der Nähe von Lienz geboren, ab 1878 Professor an der Münchener Akademie), dessen Szenen aus dem bäuerlichen Alltag und dem Tiroler Freiheitskampf 1809 auch höheren Orts goutiert werden, was ihm prompt den Adelstitel einbringt. Die Folgen dieser Bekanntschaft sind nicht zu übersehen. Auch Egger-Lienz findet seine Sujets – „Der Porträtmaler auf dem Lande“, 1891 oder „Karfreitag“, 1993    in ländlichen Regionen, und Arbeiten wie „Nach dem Friedensschluß 1809“ oder „Das Kreuz“ (beide 1902) greifen auf den Mythos um Andreas Hofer und den Aufstand der Tiroler gegen Napoleon zurück.

 Zunächst in München, ab 1899 in Wien wohnend, etabliert sich Egger-Lienz (der Namenszusatz „Lienz“ taucht erstmals 1891 auf) als Genre- und Historienmaler Münchener Prägung. Er reüssiert; kassiert große und kleine Bronze-, Silber- und Goldmedaillen, eröffnet eine Malschule für Damen und erhält 1902 für „Nach dem Friedensschluß 1809“ den Kaiserpreis. 1909 schließlich, im Zuge diesbezüglicher Gedenkfeierlichkeiten, kommt es zu einem Défilée vor Kaiser Franz Josef: Schützenvereine,  Musikkapellen etc. und dazwischen, als patriotische Performance, bewegte Szenen nach Bildern von Egger-Lienz .... und der Künstler vorneweg.

Totentanz Anno 9

"Totentanz Anno 9", 1908

 Vermutlich hätte seine aktuelle Produktion „Der Totentanz von Anno Neun“ (1908) nicht mitmarschieren dürfen, denn der Aufstand von 1809 erscheint hier in anderem Licht. Keine stürmische Bekundung der Vaterlandsliebe, sondern schwerfällige, von körperlicher Arbeit gezeichnete Bauern, die in großen Schritten, als seien sie ferngesteuert, bergab schreiten: die Augen geschlossen oder seitwärts gerichtet, so daß sie den Tod, der – untergehakt bei einem der Protagonisten – als fünfter Mann mitläuft, nicht wahrnehmen.


 

In ihrer erdfarbenen Klotzigkeit wirkt die monumentale tragikomische Gruppierung (zwangsläufig muß man an denSchluß der Ansprache Andreas Hofers denken: „... enkern Schnaps habts trunken, also auf in Gotts Nam!" ) wie eine bildhaft artikulierte Vorwegnahme des von Heidegger beschriebenen Zustands des ´uneigentlichen Seins zum Tode´

„Ich male Formen, nicht Bauern!“ Zwischen 1907 und 1911, entstehen jene Bilder, die Egger-Lienz – nach Vorwürfen eines Kritikers, er solle nicht „so viele Bauernkittel malen“ – mit dieser programmatischen Äußerung verteidigt; Arbeiten also wie „Die Bergmäher“, „Ruhende Hirten“, „Mann und Weib“ oder „Das Mittagessen“, in denen prototypische Momente bäuerlicher Existenz fixiert sind: weder mit heroischem Hautgout noch idyllisch-pittoreskem Einschlag, aber mit dem Gespür desjenigen, der die Arbeit in Bergregionen kennt. Und mitgesehen natürlich deren flirrendes Licht, das die dargestellte Situation zum Inbild verdichtet. Zwangsläufig geraten solche Bilder ins Blickfeld der NS-Kulturbürokratie, die alles adaptiert, was zum Thema „Wehrstand und Nährstand“ greifbar ist, wobei Alfred Rosenbergs Votum für Egger-Lienz in der Kontroverse mit Joseph Goebbels um die Perspektivierung der Kunstpolitik (1934) fatale Folgen haben sollte, da ihm fortan das Signum „Wegbahner deutscher Kunst“ anhaftet. Die weitergehende Hypothese allerdings, er sei Lieblingsmaler Adolf Hitlers gewesen, erweist sich als Luftgespinst, denn an dem im Jahre ´39 von der Gaukulturstelle des Reichsgaues Kärnten zum 50.Geburtstag verehrten Gemälde „Mann und Weib“ fand der Reichskanzler ganz offensichtlich kein Gefallen: Nicht über seinem Sofa landete es, sondern postwendend als „Leihgabe des Führers“ in der Kärntner Landesgalerie.

Mann und Weib

"Mann und Weib", 1910

 1943 geht der „Völkische Beobachter“ auf Distanz zu Egger-Lienz. Er sei, so die verklausulierte Verabschiedung, in seiner Monumentalisierung zu weit gegangen, sehe nur das Typische und weiche der Persönlichkeit aus. Zweifellos hat man dabei bestimmte Gemälde,  „Aus den Kämpfen in Nordfrankreich“ etwa oder „Leichenfeld II“ im Visier, die zwischen 1914 und ´18 entstehen. Während „Der Totentanz von Anno Neun“ noch Individuen agieren läßt, herrschen in den Weltkriegs-Bildern serielles Prinzip und Funktionalität. Vorder-, Mittel- und Hintergrund sind besetzt mit Figuren ohne Gesicht, sämtlich in der gleichen Haltung: gebückt und halb kriechend im Ausfallschritt. „Leichenfeld II“ zeigt uniformierte Gestalten, die bis zum Horizont – feldgrau, schwarz konturiert und mit wenigen roten Farbspuren versehen – das gefurchte Terrain bedecken. Anders als „Der Totentanz...“, der das zugrundeliegende Faktum, die Entsetzlichkeit des Krieges, im Hort einer Metapher unterbringt und damit die elementare Wirkung dämmt, trifft diese Sicht der Dinge unmittelbar.

Leichenfeld 2

"Leichenfeld II", 1918

Als konsequente Ergänzung der vorausgegangenen Arbeiten lassen sich die Bilder der  frühen 20er Jahre sehen, etwa „Mütter“ und „Christi Auferstehung“, vor allem aber „Die Kriegsfrauen“. Dargestellt sind Bäuerinnen in einem kahlen, durch fast kubistische Verwerfungen destabilisierten Raum, vereinzelt auf Holzbänken postiert: Ausdruck endgültiger Verlorenheit. Die Frauen starren vor sich hin, apathisch auch infolge psychischer Erschöpfung. Ihre unsinnigen Gesten und Handgriffe gehen ins Leere, wirken wie die körperliche Expression vager Erinnerungen an frühere sinnvolle Arbeit. – Wenn sich die geschlagenen Tiroler „Nach dem Friedensschluß 1809“ aus dem Dorf schleppen (gegen die Leserichtung, versteht sich!), vorbei an Häusern und dem warmen Licht hinter den Fensterscheiben dem kalten Mondlicht entgegen, dann bleibt doch, bei allem Jammer, ihre Welt bestehen. Die der Kriegsfrauen – das formulieren eindringlich diese Arbeiten von Egger-Lienz  – nicht!

Kriegsfrauen

"Kriegsfrauen", 1918-22

Da seine Werke nicht nur nicht durch die „Aktion Entartete Kunst“ erfaßt, sondern,  schlimmer noch, unter „Faschismusverdacht“ geraten waren, die Kunst zudem, wie Werner Haftmann 1959 konstatierte, ohnehin abstrakt geworden war, hat es in der Nachkriegszeit ff. keine angemessene Egger-Lienz-Rezeption gegeben. Die Wiener Ausstellung zeigt ihn als neu zu entdeckenden Maler der klassischen Moderne, der in zeitgenössischer, dem Expressionismus nahestehender Formensprache die Ereignisse und Folgen des 1. Weltkriegs, primär aber die radikale Veränderung des Lebensgrundgefühls zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck bringt: mit beeindruckendem Ernst, dem man sich kaum entziehen kann.

Erschienen in Konkret 5/2008

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